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In Verbindung mit Tief "Daria" gingen in der ersten Junidekade 2012 in mehreren Teilen Europas schadenbringende Unwetter einher. Der Tiefdruckwirbel brachte Großbritannien anhaltende Regenfälle und Überschwemmungen. Nach einer nur kurzen Gewitterpause entluden sich über Zentraleuropa auf der Vorderseite des Drucksystems erneut heftige Gewitter mit Starkregen, Hagel und orkanartigen Windböen. Aus Frankreich, Süddeutschland, Österreich und aus der Schweiz wurden erhebliche Schäden gemeldet.
Wetterlage und Entwicklung Mit der Anordnung der großräumigen Zirkulation über Europa während der ersten Junidekade 2012 waren zum 07. und 08.06. erneut die Bedingungen für die Entwicklung kräftiger Gewitter über Zentraleuropa gegeben. Erst wenige Tage zuvor gab es über Mitteleuropa starke Gewitter mit unwetterartigen Begleiterscheinungen (siehe Artikel). Auf der Vorderseite eines relativ scharf gekrümmten Höhentroges über dem Ostatlantik setzten zum 07.06. ausgedehnte Hebungsprozesse über Westeuropa ein, aus denen am Boden das Tiefdruckgebiet "Daria" hervorging. "Daria" verlagerte sich langsam nordnordostwärts und verstärkte sich bis zu einem Kerndruck unter 985 hPa über den Britischen Inseln, wo aufgrund der niedrigen Zuggeschwindigkeit des Systems und nahezu stationärer Frontensysteme anhaltende Regenfälle mit Überschwemmungen niedergingen. Zudem verschärften sich in dem konzentrischen Tiefdruckwirbel durch Druckfall die Luftdruckgegensätze, was zu ruppigem Wind mit teilweise schweren Sturmböen führte.
Östlich von Tief "Daria" wurden mit einer südwestlichen Strömung feuchtwarme Luftmassen vom westlichen Mittelmeerraum in einem Bogen über Frankreich, Süddeutschland, den Alpenraum und Norditalien weiter nach Osten bis nach Ungarn und in die Ukraine transportiert. An den Nordalpen herrschte aufgrund der südlichen Anströmungskomponente Föhn. Infolge der Warmluftadvektion wölbte sich über Zentral- und Osteuropa ein Höhenrücken auf, der mit Hochdruckeinfluss zunächst hochreichende Konvektion in Form von mächtigen Schauer- und Gewitterwolken (Cumulonimben) unterdrückte. Radiosondenaufstiege zeigten vorerst noch hohe Werte der sogenannten "konvektiven Hemmung" oder engl. "convective inhibition" (CIN).
Mit der Ostwärtsverlagerung des Trog-Rücken-Musters, machte sich von Westen her zunehmend Tief "Daria" in Form von Bodentrögen über Frankreich und Süddeutschland bemerkbar. Bodentröge haben grundsätzlich die Eigenschaft, dass in deren Umgebung die Luftströmung konvergiert, was ein vertikales Ausweichen und Aufsteigen der Luft zur Folge hat. Zudem wird bei großskaliger Hebung (trogvorderseitig aufgrund differentieller positiver Vorticityadvektion) die vertikale Schichtung labilisiert, was einen Abbau der konvektiven Hemmung zur Folge hat. Kommt nun noch in einer labilen Schichtung mit ausreichender CAPE (engl. "convective available potential energy") hochreichende Windscherung in Betrag und Richtung hinzu, so sind alle wichtige Zutaten für die Entwicklung heftiger Gewittersysteme gegeben. Dies war am 07.06. zunächst über Frankreich, der Schweiz und über Südwestdeutschland der Fall, was auch auf den Satellitenbildern in Form von gewaltigen Gewitterwolken zu sehen war. Am 08.06. kamen die gewitterträchtige Luft und Troposphärenbedingungen weiter in den Osten voran, so dass über Südostdeutschland und Österreich kräftige Gewitter entstanden. Fortbestand hatte die Gewitterepisode am 09. und 10.06. schließlich über Ungarn, Rumänien und der Ukraine. Starkregen, Gewitter und Superzelle mit Hagel bis 5 cm am 07.06. über Frankreich, Süddeutschland und über der Schweiz Am Nachmittag des 07.06. entstanden über Zentralfrankreich im Grenzbereich zwischen der feuchtwarmen Mittelmeerluft im Südosten und der kühleren Atlantikluft im Nordwesten erste kräftige Gewitter. In einer Umgebung mit starker Windscherung konnten sich die vorerst isolierten Zellen rasch organisieren. Begünstigt von einem starken Jetstream in der oberen Troposphäre und hoher Geschwindigkeitsscherung des bodennahen Windes, schloss sich am Nachmittag eine Gewitterlinie (engl. squall line) zusammen, die bis zum Abend an die deutsch-französische Grenze ostwärts zog. Mit ihr traten verbreitet schwere Sturmböen auf, im Departement Nievre wurde sogar eine Spitzenböe von 140 km/h gemessen. Bereits ab Geschwindigkeiten von 118 km/h herrscht Orkan. Lokal trat Hagel von 3 bis 5 cm Korndurchmesser auf. Schäden entstanden hauptsächlich durch die verbreitet hohe Windgeschwindigkeiten.
Als die Gewitterlinie auf Südwestdeutschland traf, bewegte sie sich in ein Terrain orographisch modifizierter Bodenwinde. Vor Eintreffen der Gewitter drehte der Wind entlang des Oberrheins auf Nordost, am Hochrhein auf Ost. Verbunden mit den südwestlichen bis westlichen Höhenwinden entstand neben der Geschwindigkeitsscherung auch eine starke vertikale Richtungsscherung des Windes. Im Dreiländereck bildete sich bei diesen Bedingungen am Schweizer Jura und bei Basel eine durch Bodenkonvergenz und Bergland getriggerte, vorlaufende Superzelle, die im Niederschlagsradarbild als Fleck sehr hoher Reflektivität auszumachen war. Die kräftige Gewitterzelle zog samt Hagel bis zu 5 cm über den südlichen und mittleren Schwarzwald hinweg bis ins Neckartal. Zuvor produzierte sie in Basel demolierte Autos durch Hagelschlag sowie schwere Fallböen, die im Stadtgebiet orkanartige Windgeschwindigkeiten bis 109 km/h erreichten. Am Abend und in der Nacht weiter nordostwärts ziehend, verloren die Gewitter dann über Rheinland-Pfalz und Württemberg mangels Labilität schnell an Kraft.
Anders sah es weiter südlich in der Schweiz aus. Mit Eintreffen der Gewitterfront entluden sich vor allem ausgehend des Schweizer Juras und in der Innerschweiz heftige Gewitter mit Sturm, Hagel und häufig sintflutartigem Regen. Auf dem Moleson (2.002 Meter ü. NN) gab es eine orkanartige Windböe von 115 km/h und auch im Flachland und in den Tälern erreichten die Gewitterböen Sturmstärke mit der Folge entwurzelter Bäume und Schäden an Häusern und Dächern. Durch die großen Regenmengen, oft in nur kurzer Zeit, gab es vielerorts Überflutungen, Überschwemmungen und über die Ufer tretende Bäche. Besonders betroffen waren die Kantone Bern, Luzern und Zug, wo zahlreiche Keller ausgepumpt werden mussten. Viele Verkehrsverbindungen per Auto oder Bahn waren aufgrund von Hochwasser gesperrt. Im Kanton Luzern regnete es innerhalb nur 15 Stunden lokal bis zu 80 Liter pro Quadratmeter. Das ist innert kürzester Zeit gut die Hälfte der Niederschlagssumme, die dieser Region im klimatologischen Mittel im gesamten Monat Juni zusteht.
Gewitter und Superzelle mit Großhagel bis 6 cm am 08.06. in Niederösterreich Am 08.06. verlagerte sich der Schwerpunkt der Gewitteraktivität nach Südostbayern und nach Österreich. Ausgehend von einem vorerst nicht allzu aktiven Gewittercluster über dem Schweizer Mittelland, formierte sich daraus bei dessen Ostwärtsverlagerung im Laufe des Nachmittags eine belebte Gewitterzone über den Lechtaler Alpen und dem Allgäu. Weiter östlich bis nach Niederösterreich hinein wehte zu diesem Zeitpunkt noch Föhn, der in den Tälern die Temperaturen auf bis zu 28 °C klettern ließ. Auch konnte sich in den Ostalpen bei noch ungestörtem Sonnenschein das so genannte "alpine Pumpen" ausbilden, was im nördlichen Alpenvorland mit bodennahen Nordost- bis Ostwinden einhergeht. Richtig an Fahrt gewann der gewittrige Komplex nun bei seiner ostwärtigen Route ab dem Chiemgau und dem Salzburger Land, wo sich dank Föhn, Sonnenschein und alpinem Pumpen die höchste Labilität und die günstigste Windscherung überlappten. Aus dem Gewittercluster ging bei solchen atmosphärischen Voraussetzungen vom Salzburger Land bis nach Niederösterreich erneut eine gewaltige Superzelle hervor, nachdem dieselbe Region bereits am 7. Mai und am 3. Juni von schadenbringenden Gewittern heingesucht wurde. Auf ihrer Zugbahn hinterließ die Zelle eine Schneise der Verwüstung. Starkregen, Hagel und Sturm beschäftigten 17 von 21 Bezirke in Niederösterreich. Einige Blitzschläge verursachten Dachstuhlbrände, Hagelschlossen mit einem Durchmesser bis zu 6 cm beschädigten unzählige Autos und rund 17.000 Hektar Agrarfläche mit einem geschätzten landwirtschaftlichen Schaden von etwa 3 Millionen Euro. Besonders betroffen war das Mostviertel, wo zum Beispiel in Wieselburg dutzende Hausdächer vom Hagel durchschlagen wurden. Auch in Mannersdorf im Bezirk Melk gab es massive Hagelschäden. Zahlreiche entwurzelte Bäume blockierten Straßen und Bahnschienen. Am Linzer Flughafen fegte mit Durchzug des Gewitters eine schwere Sturmböe von 91 km/h hinweg. Bei Amstetten trat höchstwahrscheinlich ein Tornado auf. Derweil entwickelten sich während des 07. und 08.06. auch in anderen Regionen Mitteleuropas Gewitter, die bei den entsprechend vorgeherrschten meteorologischen Bedingungen eine recht hohe Anzahl an Verdachtsfällen auf Tornadosichtungen als möglich erscheinen lassen. So sollen beispielsweise in Belgien und in den Niederlanden, aber auch in Deutschland bei Lößnitz (SN), bei Hornbach (RP), oder bei Grefrath (NRW) Tornados aufgetreten sein.
Video von der Formation, vom Aufzug und vom Wirken der klassischen Superzelle über Wieselburg (A) mit schweren Sturmböen und Hagel bis 6 cm Korndurchmesser. Quelle: Youtube, © David Gepart. Überschwemmungen in Wales Während über Mitteleuropa kräftige Gewitter wüteten, beschäftigten die Britischen Inseln teilweise ergiebige Regenfälle. Das Frontensystem von Tief "Daria" verblieb über mehrere Tage hinweg besonders über Wales nahezu stationär, wo durch permanente Hebungsprozesse kräftige, langanhaltende Niederschläge induziert wurden. Innerhalb 24 Stunden regnete es in Trawscoed 81 mm, in Capel Curig waren es im selben Zeitraum 67 mm. Nach klimatologischem Mittel sind in Wales für den gesamten Monat Juni nur etwa 55 mm üblich. Dazu gesellte sich stürmischer Wind. In Cairnwell wurden schwere Sturmböen bis 98 km/h registriert, im Aberdaron waren es 91 km/h.
Die Folge der starken Niederschläge waren über die Ufer tretende Flüsse und Überschwemmungen. In Llangorwen in Aberystwyth stieg der Pegel im Laufe des 09.06. auf 2.05 Meter. Der mittlere Pegel liegt dort bei nur 72 cm. Zahlreiche Campingplätze wurden von den Wassermassen überspült. Auch viele Ortschaften und Häuser wurden von bis zu 1.5 Meter hohen Fluten überschwemmt, etliche Verkehrswege waren unpassierbar. Etwa 1000 Menschen mussten evakuiert werden, rund 100 Flugzeuge waren für Rettung und Hilfe im Einsatz. Text: DK 10. Juni 2012 |