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Mit teilweise kräftigen Gewittern und Starkregen über dem südlichen Mitteleuropa und über dem Alpenraum beendete Tief "Bergit" Anfang Juni 2012 ein nur etwa 2 Tage lang anhaltendes Wärmeintermezzo. Im Übergangsbereich von feuchtwarmer Mittelmeerluft und subpolarer Kaltluft entwickelten sich in einem Bogen vom Tessin über das Rheintal und den Bregenzerwald bis nach Niederösterreich örtlich unwetterartige Gewitter und ausgedehnte Starkregenfälle. Die Folge waren Überflutungen, umgestürzte Bäume, abgedeckte Dächer und Hagelschäden in Millionenhöhe. Zwei Menschen wurden verletzt.
Wetterlage und Entwicklung Anfang Juni 2012 war das großräumige Strömungsmuster über West- und Mitteleuropa geprägt von einem ausgedehnten Höhentrog über dem Ostatlantik und einem expandierten Tiefdruckgebiet über dem Ostseeraum. Auf der Vorderseite des Ostatlantiktroges gelangten zum 01. und 02.06. warme bis heiße Luftmassen subtropischen Ursprungs nach Südwesteuropa, welche einen schmalen Höhenrücken über der Biscaya und über Frankreich stützten. Bewegung kam ab dem Abend des 02.06. in das Wettergeschehen, als sich der kleine Höhenrücken samt warmer Luft und unter Abschwächung weiter ostwärts verlagerte. Simultan setzte über Frankreich Druckfall am Boden ein. Im Bereich einer flachen Tiefdruckrinne und in der eingeflossenen energiereichen Luftmasse entluden sich dort bereits am Abend des 02.06. und in der darauffolgenden Nacht örtlich kräftige Gewitter mit Starkregen, Sturmböen und golfballgroßem Hagel.
Zum 03.06. kam die feuchtwarme Mittelmeerluft bis ins südliche Mitteleuropa und weiter bis nach Südost- und Osteuropa voran. Im 850-hPa-Niveau, etwa 1.500 Meter über dem Meeresspiegel entsprechend, erstreckte sich die 15-°C-Isotherme nordwärts bis über den Alpenraum. Gleichzeitig formierte sich, ausgehend von dem skandinavischen Tiefdruckkomplex, über den Britischen Inseln ein Randtrog, auf dessen Vorderseite durch Hebungsprozesse eine Tiefdruckentwicklung in Gang kam. Das neu entstandene Tief "Bergit" zapfte auf dessen Rückseite kalte, maritime Luftmassen an und transportierte diese per Kaltluftadvektion weiter südostwärts. Über Süddeutschland und über dem Alpenraum maximierten sich die Temperaturgegensätze, was im Verlauf des 03.06. und während des 04.06. zur Entwicklung örtlich kräftiger Gewitter und starker Regenfälle führte. Gewitter und Starkregen Tief "Bergit" schlug am 03.06. eine östliche Zugbahn ein und überquerte im Tagesverlauf Deutschland auf einer Linie Hunsrück - Rhein-Main-Gebiet - Nordfranken. Nördlich des Tiefkerns bildeten sich in der kälteren Luftmasse ausgedehnte, stratiforme Niederschläge aus. In Teilen des Münsterlandes, Ostwestfalens oder der Lüneburger Heide verharrten dabei die Temperaturen mit maximal 9 °C im einstelligen Bereich. Anders sah es in Süddeutschland aus, wo mit Warmluftadvektion und Föhnunterstützung am Alpenrand nochmals Temperaturen um 25 °C verzeichnet werden konnten (Garmisch-Partenkirchen, München). Noch höhere Werte zeigte das Quecksilber mit bis zu 29 °C in Teilen Österreichs (z.B. Wiener Neustadt).
Gegen Nachmittag erreichte die Kaltfront von "Bergit" den Westen Deutschlands, womit schauerartig verstärkte und mitunter kräftige, aber kaum gewittrige Regenfälle niedergingen. Vor allem im Schwarzwald und im Taunus gab es länger anhaltende Stauniederschläge. Bis zum frühen Abend überquerte das Frontensystem große Teile der Schweiz und arbeitete sich bis nach Westbayern vor. Durch die Um- und Überströmung der Alpen setzte im Lee des Gebirges eine Tiefdruckentwicklung über Norditalien ein, die für ergiebige Niederschläge im Tessin, in Graubünden und weiter nordwärts bis zum Appenzeller Land verantwortlich gemacht werden kann. Entscheidendes vollzog sich zum Abend hin am bayerischen Nordalpenrand, als im Vorfeld der großen Niederschlagsgebiete der Auslösemechanismus für die Bildung kräftiger Gewitter bereit gestellt wurde. In der dort noch vorhandenen energiereichen und labilen Luftmasse kam es zur Ausbildung einer Gewitterlinie über Oberbayern, welche entlang des Nordalpenkamms weiter über das Chiemgau und über das Berchtesgadener Land grenzüberschreitend nach Österreich ins Salzburger Land zog. In Verbindung mit dieser Linie regnete es beispielsweise in Seebruck am Chiemsee sintflutartig; allein in nur 5 Minuten über 20 mm. Dazu gab es Sturm-, örtlich auch orkanartige Windböen. Auf dem 1.838 Meter hohen Wendelstein im Mangfallgebirge trat eine Spitzenböe von 112 km/h auf. Mit der postfrontal auf Nordwest drehenden Strömung regnete es vor allem in den Staulagen am bayerischen Alpenrand, in Voralberg und in Nordtirol noch weit in die Nacht hinein teilweise ergiebig.
Weit im Voraus entstand am Nachmittag des 03.06. über Niederösterreich inmitten des Warmluftregimes eine isolierte Superzelle, die auf ihrem ostwärtigen Kurs auch Vororte der Hauptstadt Wien passierte und eine Schneise hoher Sachschäden hinterließ. Die Wetterlage und die damit einhergehenden Bedingungen waren für die Bildung einer Superzelle in dieser Region optimal, da sowohl eine labile Troposphärenumgebung als auch die für Superzellen notwendige vertikale Geschwindigkeits- und Richtungsscherung des Windes vorhanden waren. Zusätzlich begünstigt die Leeregion der Alpen bei diesen Wetterlagen die Bildung superzellulärer Gewitter, was zuweilen auch auf deutschem Gebiet im bayerischen Voralpenland zu beobachten ist. Die Superzelle am 03.06. produzierte Starkregen und Hagel von 3 bis 4 cm sowie schwere Fallböen, die am Boden örtlich Orkanstärke erreichten. Am Flughafen Wiener Neustadt wurde mit Durchzug des Unwetters eine Orkanböe von 119 km/h gemessen.
Im Laufe des 04.06. zogen sich die kräftigsten Niederschläge in die Hohe Tauern und nach Osttirol zurück. Nachfolgend entstanden in der frisch eingeflossenen Kaltluft verbreitet Regenschauer, die in den West- und Nordalpen bis 1.500 Meter hinab vorübergehend als Schnee fielen. Am Morgen des 04.06. meldete Samedan im Oberengadin eine 4 cm dicke Schneedecke. Auswirkungen und Schäden Die größten Schäden gingen mit der Superzelle über Niederösterreich einher. Auf ihrer Zugbahn hinterließ diese vor allem in der Landwirtschaft schwere Hagelschäden, deren Summe laut Versicherungen auf etwa 1 Million Euro geschätzt wird. Teilweise lag auf Wiesen, Feldern und in Gärten eine bis zu 40 cm mächtige Hagelschicht, so bei Wöllersdorf (A) oder Felixdorf (A). Darüber hinaus beschädigten heftige Windböen zahlreiche Gebäude und Dächer und knickten Bäume um. Am Flugplatz Wiener Neustadt wurden zwei Menschen durch ein herabfallendes Hangartor verletzt. In Blumau (A) gab es einen Trafobrand durch Blitzschlag. Andernorts trat durch heftige Niederschläge Aquaplaning auf oder ganze Straßenabschnitte standen unter Wasser, so in Thalgau (A) im Salzburger Land. Im Flachgau und Tennengau sowie in Teilen des Bregenzerwaldes, des Rheintals und in Vorarlberg mussten viele Keller nach Überflutungen ausgepumpt werden. Auch im Südosten Deutschlands wurden einige Dächer durch Sturmwinde abgedeckt, so in Laimgrub (BY). Umgestürzte Bäume und heruntergefallene Äste blockierten zahlreiche Straßen. Am schwersten betroffen war der Landkreis Traunstein, wo rund 40 Feuerwehreinsätze zu verzeichnen waren. Hauptsächlich mussten Keller ausgepumpt und Wasser- und Sturmschäden beseitigt werden.
Videoeindrücke vom schweren Gewittersturm im Chiemgau und am Chiemsee (Quelle: Youtube, © Tobias Hämmer): Text: DK 5. Juni 2012 |