Ein kräftiger Wintersturm namens "Nemo" fegte im Februar 2013 über den Nordosten der USA hinweg. Orkanböen und ergiebige
Schneefälle mündeten in einen Blizzard, der die Bundesstaaten Maine, New Hampshire, Vermont, Massachusetts, New York,
Connecticut und Rhode Island in Atem hielt. Betroffen war auch die Metropolregion Boston. An der Küste folgte
eine Sturmflut. Über eine halbe Million Haushalte waren ohne Strom, mindestens zehn Menschen kamen ums Leben.
Wetterlage und Entwicklung
Im ersten Februardrittel 2013 vollzog sich über der Südosthälfte des nordamerikanischen Kontinentes eine markante
Zyklogenese, die im Verlauf über dem Nordosten der USA ein bemerkenswertes Schneesturmereignis hervorrief. Das
kräftige Tiefdruckgebiet "Nemo" ging aus einem Bodentief über dem nördlichen Golf von Mexiko hervor, das am 07.02.
auf der Vorderseite eines schwach gekrümmten Kurzwellentroges entstand. Aufgrund kaum vorhandenem synoptischem Antrieb
verlagerte sich das Druckgebilde nur wenig intensivierend bis zum 08.02. der Höhenströmung folgend nordostwärts und lag
um 06 UTC über dem Küstengebiet Georgias und South Carolinas mit einem Kerndruck um 1010 hPa. Zu diesem Zeitpunkt
näherte sich dem Bodentief von Nordwesten her ein stärkerer und schärfer gekrümmter Kurzwellentrog, der zwei Tage
zuvor im Lee der Rocky Mountains initiiert wurde. Beide Tröge schlossen sich zu einem umfangreichen und stark wetterbestimmenden
Höhentrog über dem Osten der Vereinigten Staaten zusammen. Unter dessen Vorderseite konnte sich "Nemo" unter großräumigen
Hebungsprozessen deutlich intensivieren. Nur einen Tag später erreichte das Tief zu Beginn des 09.02. seinen tiefsten Kerndruck
von 971 hPa.
"Nemo" verfolgte eine nordöstlich gerichtete und küstennahe Zugbahn entlang der Ostküste der USA. Auf der
Vorderseite führte das System feuchtwarme Luftmassen mit sich, die weit südlich über dem Golf von Mexiko und in den
Subtropen angezapft wurden. Durch Hebung der subtropischen Luftmasse entstand ein ausgedehnter Wolkenschild mit kräftigen
Niederschlägen, die auf der warmen Seite über dem Meer als Regen niedergingen. Zum Reifestadium erreichte "Nemo" am 09.02.
das Seegebiet vor der Küste New Jerseys und Marylands und zog bis zum 10.02. unter leichter Abschwächung weiter nach Neufundland.
Zur stärksten Entwicklung bildete sich um das Tief ein großer Druckgradient, der den Wind bis zu Orkanstärke auffrischen ließ.
Über dem Nordosten der USA wurde auf der Rückseite der Tiefs mehr und mehr subpolare Kaltluft in die Zirkulation miteinbezogen.
Die frostige Kontinentalluft entstammte dem Gebiet rund um die Großen Seen und aus dem Süden Kanadas. Am Abend des 09.02.
stieß die -10 °C-Isotherme südostwärts bis zur Atlantikküste New Jerseys, New Yorks und Connecticuts vor. Zur selben
Zeit kam die +10 °C-Isotherme weiter im Osten über dem Meer zum gleichen Breitenkreis nordwärts voran. Das Tief fungierte
als umfangreicher atmosphärischer Umwälzungswirbel, der durch Warmluftadvektion nordwärts und Kaltluftadvektion südwärts
die vorhandenen Temperaturgegensätze ausglich.
Über dem Nordosten der USA floss in der niederen Troposphäre Kaltluft ein. Auf der Rückseite des Tiefs
lagen die Temperaturen im Landesinneren und auch an den Küsten unter dem Gefrierpunkt. In der oberen Troposphäre wurde
die feuchte Warmluft um das Tiefdruckgebiet herumgefürt, gelangte dann an die Nord- und Nordwestseite des Systems und
strich unter kräftiger Hebung über die darunterliegende
Kaltluft. Dies führte rückseitig von "Nemo" auf dessen kalten Seite zu ergiebigen Niederschlägen, die bis in die tiefsten Lagen als Schnee fielen.
In Kombination mit dem stürmischen bis orkanartigen Wind kam es im Nordosten der USA und insbesondere in den Neuengland-Staaten
zu einem Blizzard, der große Schneemengen und hohe Schneeverwehungen brachte. Da bei diesen Tiefdruckentwicklungen
und -zugbahnen die kalten Sturmwinde über dem Land aus Nordosten daherkommen, wird solch ein Ereignis in den USA auch
als "Nor'easter" bezeichnet. Genügend kalte Temperaturen unter 0 °C, aber
nicht allzu frostige Temperaturen begünstigten dieses Mal das Auftreten starker Schneefälle, da in wärmerer Luft mehr Feuchte für
die Bildung von Niederschlägen zur Verfügung steht. Mit stürmischem Ostwind an der Nordflanke von "Nemo" kam es vor allem
an der Küste von Massachusetts zu einer Sturmflut.
Höhenwetterkarten zur Großwetterlage
500-hPa-Geopotential und Bodendruck, 850-hPa-Temperatur vom 07.02. bis 10.02.2013 | Quelle: wetter3.de |
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07.02.2013, 00 UTC |
08.02.2013, 00 UTC |
09.02.2013, 00 UTC |
10.02.2013, 00 UTC |
Bodendruckanalysen
Bodendruckanalysen vom 07.02. bis 10.02.2013 | Quelle: HPC NOAA |
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07.02.2013, 01:26 UTC |
08.02.2013, 01:27 UTC |
09.02.2013, 01:30 UTC |
10.02.2013, 01:25 UTC |
Satellitenbilder
GOES-13 Satellitenbilder IR-Kanal vom 07.02. bis 10.02.2013 | Quelle: GOES NASA NOAA |
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06.02.2013, 23:45 UTC |
07.02.2013, 11:45 UTC |
07.02.2013, 23:45 UTC |
08.02.2013, 11:45 UTC |
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08.02.2013, 23:45 UTC |
09.02.2013, 11:45 UTC |
09.02.2013, 23:45 UTC |
10.02.2013, 11:45 UTC |
Niederschlagsradarbilder
Niederschlagsradarbilder staatenweit (oben) und Regionalradar Boston (unten) | Quelle: NCAR |
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07.02.2013, 00:00 UTC |
07.02.2013, 23:59 UTC |
08.02.2013, 23:58 UTC |
09.02.2013, 23:58 UTC |
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08.02.2013, 17:58 UTC |
08.02.2013, 23:54 UTC |
09.02.2013, 05:57 UTC |
09.02.2013, 11:59 UTC |
Ergiebiger Schneefall, Orkanböen, Sturmflut und sechstgrößter Schneesturm in Boston
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Satbild NO-USA 10.02.2013
© NASA
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Massive Schneefälle ereigneten sich vor allem während des 08. und 09.02. in Neuengland und im Bundesstaat New York. Schneefallraten
von bis zu 15 cm pro Stunde konnten beobachtet werden. Verbreitet schneite es 20 bis 50 cm, örtlich brachte "Nemo" insgesamt
über einen Meter Neuschnee, so beispielsweise 102 cm in Hamden im Bundesstaat Connecticut. Portland in Maine stellte einen
neuen Allzeitrekord auf, dort summierte sich der Schnee auf 81 cm. Hartford in Connecticut und Concord in New Hampshire
verbuchten mit 54 cm bzw. 61 cm ihre zweitgrößte Schneedecke seit Messbeginn. Die Großstadt Boston (Massachusetts)
zeichnete am Logan Airport eine maximale Schneehöhe von 55 cm auf, die sechstgrößte seit Aufzeichnungsbeginn im Jahr 1936.
Hier geht "Nemo" als sechstgrößtes Blizzard-Ereignis in die Stadtgeschichte ein. Den kräftigsten Schneesturm bisher erlebte
Boston im Februar 2003, als am Flughafen bis zu 70 cm Schnee gemessen werden konnten. Zu den Schneefällen kam stürmischer
Wind, der die Schneemassen zu großen Wechten auftürmte und Straßen- und Bahnverbindungen
blockierte. Die größte Windböe in Orkanstärke registrierte Cuttyhunk in Massachusetts mit 134 km/h.
Auch viele andere Orte im Nordosten der USA meldeten Orkanböen (siehe Tabelle).
Auf der Nordseite des Tiefs verursachten stürmische Ostwinde eine Sturmflut an der Küste Massachusetts'.
In der Massachusetts Bay maßen Bojen Wellenhöhen über 10 Meter. In Boston kam tidenbereinigt eine 1.28 Meter hohe Sturmflutwelle an,
die vierthöchste seit Aufzeichnungsbeginn im Jahr 1921. Weite Teile der niedrig gelegenen Küstenabschnitte wurden
überflutet, Häuser zerstört und Straßen unterspült, teilweise gab es große Erosionsschäden. Die Sturmflut fiel
mit der Ebbe zusammen. Somit blieben noch höhere Wasserstände und noch größere Schäden aus. Bostons größte und tidenbereinigte Sturmflutwelle
gab es während des "Perfect Storms" an Halloween im Jahr 1991, die zweitgrößte erreichte die Stadt erst kürzlich während
Sturm "Sandy" am 29. Oktober 2012
(siehe Artikel).
Schneesturm "Nemo" legte in weiten Teilen des Nordostens der USA das öffentliche Leben lahm. Über eine halbe Million
Haushalte waren ohne Elektrizität, im Kernkraftwerk Plymouth in Massachusetts musste ein Reaktor wegen Stromausfall
notabgeschaltet werden. Über 5000 Flüge wurden gestrichen, der Bahnverkehr komplett eingestellt. Im gesamten
Bundesstaat Massachusetts galt ein Fahrverbot, das im Falle eines Verstoßes mit einer Geld- oder sogar Gefängnisstrafe
geahndet wurde. In einigen Orten nutzten Bewohner die schneebedeckten und autofreien Straßen für Skilanglauf (siehe Bilder).
Insgesamt fünf Bundesstaaten (Massachusetts, New York, Connecticut, Maine und Rhode Island) riefen
den Ausnahmezustand aus. Mindestens 10 Menschen erlagen den Folgen des Schneesturms.
Gesamtneuschneesummen von "Nemo" in cm (links) und Spitzenböen über 120 km/h während des Ereignisses (rechts)
Datenquelle: HPC NOAA |
Ort |
Neuschnee |
Hamden (CT) Milford (CT) Clintonville (CT) Gorham (ME)
Oxford (CT) Portland Jetport (ME) Upton (NY) Seabrook (NH) Southwich (MA) Boston Logan Airport (MA) |
102 cm 97 cm 94 cm
91 cm 91 cm 81 cm 76 cm 74 cm 71 cm 55 cm |
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Ort |
Windböe |
Cuttyhunk (MA) Westport (CT) Mount Washington (NH) Portland (CT)
Hyannis (MA) Boston Logan Airport (MA) Bangor Int. Airport (ME) Brooklin (ME) Bedford (MA) Plum Island (NY) |
134 km/h 132 km/h 130 km/h
130 km/h 124 km/h 122 km/h 121 km/h 121 km/h 121 km/h 121 km/h |
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Schnee
Verlauf: Schneehöhenanalysen zum Termin (oben) und 24-h-Schneefallmengen bis zum Termin (unten) | Quelle: NOHRSC |
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07.02.2013, 06 UTC |
08.02.2013, 06 UTC |
09.02.2013, 06 UTC |
10.02.2013, 06 UTC |
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Bis 07.02.2013, 06 UTC |
Bis 08.02.2013, 06 UTC |
Bis 09.02.2013, 06 UTC |
Bis 10.02.2013, 06 UTC |
Nordosten der USA: Schneehöhe am 10.02.2013, 06 UTC | Quelle: NOHRSC |
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Bilder
Text: DK 11. Februar 2013
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