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Freitag, 1. Februar 2013, 15:00 MEZ
Sturm/Orkan "Jolle", "Kerim", "Lennart" Nordwest-/Mitteleuropa 25.01.-30.01.2013 Orkantief "Jolle" über dem Nordatlantik 26.01.2013, 12 UTC Quelle: Eumetsat |
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Eine sehr kräftige Zyklogenese über dem Nordatlantik leitete über Nordwest- und Mitteleuropa in den letzten Januartagen 2013 eine lebhafte Westwetterlage mit mehreren Sturmtiefs ein. Der minimale Kerndruck von Orkantief "Jolle" erreichte außergewöhnlich tiefe 930 hPa. Danach folgten Sturmtief "Kerim", "Lennart" und zum Monatsausklang Tief "Mark".
Großwetterlage und Sturmtiefserie Um die Monatsmitte im Januar 2013 und darüber hinaus waren weite Teile Mitteleuropas fest im Griff winterlichen und meist trüben Wetters mit vielerorts dauerfrostigen Temperaturen. Nur kurz konnte sich zum 20.01. von Süden her vorübergehend mildere Luft vor allem in der mittleren Troposphäre durchsetzen und sorgte für eine ausgeprägte Glatteiswetterlage in Südwestdeutschland (siehe Artikel). Eine durchgreifende Wetterumstellung erfolgte dann aber ab dem 25.01., als eine zuvor quer über dem Nordatlantik installierte und kräftige Frontalzone bis zum europäischen Festland vordrang und den Januar verbreitet sehr windig, mild und nass enden ließ. Der Startschuss der grundlegenden Umstellung der Großwetterlage erfolgte über Nordamerika über dem Osten der Vereinigten Staaten, wo um den 23.01. ein mächtiger Höhentrog einen polaren Kaltluftvorstoß weit südwärts bis zum 30. Breitengrad initiierte. Über den südöstlichen US-Bundesstaaten South und North Carolina sowie über dem angrenzenden Nordwestatlantik bildete sich im Bereich großer Temperaturgegensätze eine Frontalzone aus. Zum 24.01. näherte sich der Region in der oberen Troposphäre ein eingelagerter Kurzwellentrog, auf dessen Vorderseite durch Hebungsprozesse ein zunächst flaches Bodentief hervorging. Unter excellenten Entwicklungsbedingungen im Bereich starker hochtroposphärischer Strahlströme entstand daraus bis zum 26.01. das kräftige Orkantief "Jolle", das zu seinem Höhepunkt den gesamten Zentral- und Ostatlantik für sich beanspruchte (siehe Satellitenbilder). "Jolles" Frontensystem erreichte am 26.01. West- und Mitteleuropa und ersetzte dort die vorherrschende Kaltluft mit deutlich milderer Atlantikluft. Im Übergangsbereich beider Luftmassen kam es vor allem in Mittel- und Norddeutschland vorübergehend zu Glatteisregen. Auffrischender Wind und ein schnelles Durchsetzen der milden Luft verhinderte allerdings eine anhaltende Glatteiswetterlage wie eine Woche zuvor über dem Süden Deutschlands. Ab dem 27.01. nahm "Jolle" die Position eines steuernden Tiefs nahe Island ein. An dessen Südflanke fanden mit mehreren Jetstreaks (Höhenwindmaxima) gleich zwei weitere kräftige Tiefdurckgebiete den Weg ostwärts bis nach West- und Mitteleuropa. Sturmtief "Kerim" sorgte zum 28.01. besonders auf den Britischen Inseln für Orkanböen. Wenig später brachte Sturmtief "Lennart" an den Küsten und auf den Bergen Orkanböen, ansonsten verbreitet Sturmböen. "Lennarts" Warmsektor führte sehr milde Luft mit sich, erreichte am 30.01. auch Mitteleuropa und Deutschland und ließ dort die Temperaturen örtlich in den Bereich bisheriger Dekadenrekorde für das letzte Januardrittel ansteigen. Zuvor erzeugte Warmluftadvektion kräftige Hebungsprozesse und ergiebige Niederschläge an den Westhängen der deutschen Mittelgebirge. Zum Monatswechsel beendete Tief "Mark" die über mehrere Tage anhaltende Westwetterlage und leitete den Übergang in eine vorübergehend kältere Nord- bis Nordwestströmung ein.
Orkantief "Jolle" mit etwa 930 hPa Kerndruck Kräftige Tiefdruckentwicklungen sind in den mittleren Breiten über dem Nordatlantik im Winterhalbjahr nichts Ungewöhnliches. Im Zentrum der Tiefdruckgebiete können oft Luftdruckminima zwischen etwa 980 und 940 hPa beobachtet werden. Außergewöhnlich tiefe Luftdrücke um 930 hPa oder geringer produzieren allerdings nur wenige außertropische Systeme. Eines davon war der Orkanwirbel "Jolle" im Januar 2013, der zu seinem Höhepunkt nach den Analysen des amerikanischen Wetterdienstes NOAA einen minimalen Kerndruck von 930 hPa aufwies (siehe Grafik unten). Das britische Met Office nahm das Druckminima zu 932 hPa an, der Deutsche Wetterdienst ging von einem Minimum unter 930 hPa aus. Die unterschiedlichen Einschätzungen beruhen auf fehlende Luftdruckmessungen über offenem Gewässer des Atlantiks. In diesen Gebieten muss der Kerndruck zumeist geschätzt und als bestmögliche Näherung an den wahren Wert angenommen werden. Trotz außergewöhnlich tiefem Kerndruck stellte "Jolle" keinen neuen extratropischen Luftdruckrekord auf. Der tiefste Luftdruck, der sowohl auf der Nord- als auch Südhalbkugel im Bereich der Tiefdruckgebiete der mittleren Breiten gemessen wurde, stammt vom "Braer-Storm" am 10.01.1993 über dem Nordatlantik. Met Office analysierte dessen minimaler Kerndruck auf 914 hPa. Sehr tief sank der Luftdruck über dem Nordatlantik auch am 15.12.1986, als im Kern eines Orkantiefs 916 hPa analysiert wurden. Eine offizielle Messung per Schiff nahe des Kerns zeigte damals 920,2 hPa.
"Jolles" Entwicklung startete am 24.01. außergewöhnlich weit südlich im nordwestatlantischen Seegebiet vor der ostamerikanischen Küste North und South Carolinas. Im Bereich des 30. Breitengrades kam vorderseitig eines eingelagerten Kurzwellentroges eine Bodenzyklogenese in Gang. Zum 18 UTC-Termin war eine geschlossene Kernisobare von 1005 hPa auszumachen. Differentielle Vorticityadvektion und Warmluftadvektion auf der Trogvorderseite sorgten in den folgenden Stunden für weiteren Druckfall und für eine Intensivierung des Tiefs. Aufgrund des weit südlichen Ausgangspunktes schloss "Jolle" während seiner Entwicklung warme und feuchte Luft subtropischen Ursprungs in die Zirkulation mit ein, was auf der Tiefvorderseite unter Hebungsprozessen zu einem massiven Wolkenschild führte (Warm Conveyor Belt). Phasendiagramme zeigen zu Beginn einen warmen Tiefkern, Satellitenbilder darüber hinaus Anzeichen eines von Wolken gezeichneten Hammerkopfes; beides typisch für so genannte Shapiro-Keyser-Zyklonen (siehe auch Artikel). Auf nordostwärtigem Kurs der Höhenströmung folgend, fiel bis zum 25.01., 06 UTC die Intensivierung des Tiefs zunächst nur moderat aus. Mit einem Kerndruck von 987 hPa lag "Jolle" zum 06 UTC-Termin in etwa auf dem 40. Breitengrad über dem Nordwestatlantik vor Neufundland.
Mit Erreichen der planetarischen Frontalzone nahm das Tiefdruckgebiet im Laufe des 25.01. ungewöhnlich stark an Fahrt auf. Südöstlich von Kanada erzeugten starke Temperaturkontraste einen kräftigen Jetstream in der oberen Troposphäre mit Windgeschwindigkeiten um 300 km/h in etwa 9 Kilometer Höhe. "Jolle" gelangte unter den linken Auszug des Jetstreaks und gleichzeitig unter den rechten Einzug eines weiteren Starkwindbandes zwischen Grönland und den Britischen Inseln. Beide Gebiete evakuierten in der Höhe sehr viel Masse aus der darunterliegenden Luftsäule. Die Folge war ein massiver Fall des Bodendrucks und eine kräftige Intensivierung des Tiefdrucksystems. Lag der Kerndruck am Morgen des 25.01. noch bei 987 hPa, so zeigte "Jolle" am 26.01., 06 UTC südlich von Grönland ein Luftdruckminimum von 934 hPa; ein Druckfall von 53 hPa innerhalb 24 Stunden. Damit ist das Kriterium einer rapiden Zyklogenese, d.h. ein Druckfall von 24 hPa/24 h, um mehr als das Doppelte erfüllt. Zum Höhepunkt lief der Orkanwirbel am Mittag des 26.01. auf, als die tiefsten Kerndrücke analysiert werden konnten. Danach setzte sich "Jolle" mit erkaltetem Kern und leicht abgeschwächt als klassische Bjerkneszyklone und als steuerndes Zentraltief im Seegebiet südlich von Island fest.
"Jolles" Starkwindfelder verblieben mit ihrer maximalen Intensität über offenem Gewässer, so dass von dem außergewöhnlich kräftigen Orkantief keine unmittelbare Gefahr für bewohnte Gebiete ausging. Abgeschwächt erreichte der Sturm den Norden der Britischen Inseln mit Sturmböen, in den Bergen auch mit Orkanböen. Allerdings fielen dort die beiden folgenden Sturmtiefs "Kerim" und "Lennart" kräftiger aus. Für Orkanböen reichte es auch auf Island. Vestmannaeyjar meldete eine Spitzenböe von 117 km/h, Egilsstadir wartete mit 119 km/h auf. Numerische Analysen zeigten über 15 Meter hohe Wellen über dem Nordatlantik, unmittelbar südlich des Kerns im Bereich der stärksten Winde. Sturmtief "Kerim" und "Lennart"
"Kerim" beschäftigte vor allem die Britischen Inseln mit Sturm- und Orkanböen, letztere an den Küsten und in den schottischen Highlands. Noch etwas kräftiger fegte dort "Lennart" hinweg, in dessen Trogsektor auf dem Cairngorm Summit eine Spitzenböe von 180 km/h gemessen wurde. Auch auf den deutschen Mittelgebirgsgipfeln und in den Hochlagen der Alpen konnten Orkanböen registriert werden. Im Nord- und Ostseeumfeld sorgten beide Sturmtiefs über zwei Tage hinweg für schwere Sturmböen. In Hamburg stand aufgrund einer Sturmflut der Fischmarkt unter Wasser. Auch auf einzelnen Halligen und entlang der nordfriesischen Küste hieß es gebietsweise "Land unter". Der Bahnverkehr erfolgte nur eingeschränkt, Straßen mussten aufgrund des starken Windes zeitweise gesperrt werden. Größere Schäden blieben aber die Ausnahme.
Ein Tag später konnte sich die Warmluft in "Lennarts" Warmsektor aufgrund der lebhaften Strömung gebietsweise bis in die Niederungen durchsetzen. Deutschlandweit am wärmsten wurde es mit frühlingshaft anmutenden 16,7 °C in Ohlsbach im Kinzigtal (BW) und in Rheinfelden am Hochrhein (BW). Neue Dekadenrekorde der Höchsttemperatur für das letzte Januardrittel gab es an diesem Tag am Köln-Bonner Flughafen, in Bendorf, in Rheinstetten und am Stuttgarter Flughafen. Bereits am Morgen traf im Nordseeumfeld die Kaltfront ein, die im Tagesverlauf weiter landeinwärts eine formschöne, wie nahezu mit dem Lineal gezogene, gerade Konvergenzlinie ausbildete (siehe Radarbilder). Gegen Abend erreichte die Front die Alpen und beendete auch dort das kurze, aber intensive Warmluftintermezzo.
Text: DK 1. Februar 2013 |