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Mitte Juni 2012 stellte sich über Zentraleuropa eine über mehrere Tage andauernde schwülwarme bis schwülheiße und instabile Wetterlage ein. In deren Verbindung gingen vom 16. bis 21.06. vor allem über Deutschland, Österreich, Polen, Tschechien und der Schweiz mehrfach und regional heftige Gewitter nieder, die mit Starkregen, Überschwemmungen, Hagelschlag und Sturm für erhebliche Schäden sorgten.
WETTERLAGE ÜBER ZENTRALEUROPA Nach einer vorangegangenen, für die Jahreszeit deutlich zu kühl ausgefallenen Woche, drehte der Juni 2012 ab Mitte des Monats wettertechnisch für mehrere Tage kräftig auf. In der oberen Troposphäre positionierte sich das langwellige Trog-Rücken-Muster der planetaren Frontalzone über dem europäischen Raum relativ stationär, so dass über längere Zeit hinweg ein Höhentrog über dem Ostatlantik verweilte und sich über Osteuropa ein Höhenrücken manifestierte. Zentraleuropa und der Alpenraum befanden sich dabei im Übergangsgebiet zwischen Trog und Rücken. Die großräumige Druckkonstellation und die damit einhergehende südwestliche Strömung begünstigte in der Südosthälfte Europas die Zufuhr feuchtwarmer bis feuchtheißer Luftmassen. Gleichzeitig verblieb die Nordwesthälfte des europäischen Kontinents in kühlerer Atlantikluft.
Die Temperaturkarten im 850-hPa-Niveau, etwa 1.500 Meter über dem Meeresspiegel entsprechend, verdeutlichen die über mehrere Tage hinweg ähnlich ausfallende Temperaturverteilung über Europa. In der Meteorologie werden Temperaturkarten für das 850-hPa-Niveau erstellt, da in dieser Höhe der Einfluss des heterogenen Untergrundes und die Land-See-Gebirge-Verteilung größtenteils vernachlässigbar ist. Damit können unterschiedliche Luftmassen unabhängig von der im Sommer häufig stark ausfallenden tageszeitlichen, bodennahen Erwärmung besser dargestellt werden. Zumeist drängten sich die Isothermen über dem mitteleuropäischen Raum besonders stark, dies vor allem am 16. und 18.06.
Mehrere, in der Höhenströmung eingelagerte Kurzwellentröge streiften vom 16. bis 21.06. den zentraleuropäischen Kontinent und sorgten für Labilisierung und Hebungsprozesse. Mit deren Passagen kamen jeweils mehr oder weniger kräftig ausfallende Bodenzyklogenesen in Gang, die, gekoppelt mit den Höhenwinden, Frontensystemen, bodennahen Strömungskonvergenzen und zuvor stattgefundener Einstrahlung, für die Auslösung teilweise heftiger Gewitter verantwortlich waren. Im Alpenraum trug die Orographie entscheidend dazu bei, dass sich regional unwetterartige Gewitter ausbildeten. Insgesamt waren über Mitteleuropa und über dem Alpenraum die entscheidenden Zutaten für die Gewitterentstehung knapp eine Woche lang gegeben: feuchte, energiereiche Luftmassen, labile Schichtung und häufig bereitgestellte Auslösemechanismen für die Entwicklung hochreichender Konvektion mit mächtigen Gewitterwolken. CHRONOLOGIE DER EREIGNISSE 16.06.: Schwerpunkt Ostdeutschland, Nordtschechien, Polen Am 16.06. entwickelten sich vor allem in einem Streifen von Nordbayern über Sachsen und Brandenburg bis nach Polen hinein kräftige Gewitter. Auslöser dafür war ein wellender Frontenzug von Tief "Gisela", der verbunden mit leichten bis mäßigen Regenfällen diagonal über der Mitte Deutschlands verlief. Südöstlich der Front stiegen die Temperaturen in der Warmluft auf über 30 °C. Zunächst entstanden im Laufe des Nachmittags orographisch hervorgerufene Gewitter entlang des Erzgebirges. In den Abendstunden weitete sich die Gewitteraktivität in niedrigeres Terrain von Nordbayern bis nach Polen aus. Der Hauptantrieb für die Gewitterbildung geht hierbei auf die an der Front wirkende Querzirkulation zurück, durch welche die Warmluft Hebung erfährt. Ein über Tschechien entstandenes Bodentief sorgte zudem für konvergente Winde über Sachsen und Westpolen, so dass linienartig Gewitterzellen emporsprossen. Die Bilanz des Tages im deutschen und grenznahen Raum: Abgedeckte Dächer und entwurzelte Bäume durch heftige Windböen, z.B. Fabianów (PL). Überflutete Straßen, z.B. Mogilno (PL) oder Sohland/Spree (SN). Hagel bis 3 cm, z.B. Liberec (CZ) oder Lunzenau (SN). Schwere Sturmböen, z.B. Zinnwald-Georgenfeld (SN) mit 90 km/h.
18.06.: Schwerpunkt Vormittag Westdeutschland, am Abend Nordostdeutschland, Polen
Nach einer ruhigeren Passage der Tagesmitte, kam es ab dem frühen Nachmittag im Bereich des Bodentiefs über Nordostdeutschland bei großer Windscherung und bodennaher Strömungskonvergenz zur Ausbildung einer kräftigen Gewitterlinie (squall line), die nachfolgend ostwärts bis auf Westpolen übergriff. Zuvor erreichten die Temperaturen im warmen Südostwind weit über 30 °C, in Südbrandenburg wurden sogar 33 °C gemessen. Mit der Passage der Gewitterlinie und Winddrehung auf West gab es einen bis zu 15 °C großen Temperatursturz. Heftige Windböen bis nahezu Orkanstärke traten auf, Downbursts mit Starkregen und Hagel richteten erhebliche Schäden an, dies vor allem in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, z.B. auf Rügen (MV), in Rostock (MV), Barth (MV), Bergzow (SA) oder Brunn (BB), aber auch in Polen, z.B. in Plocicz. Am späten Abend des 18.06. erreichte ein weiteres Hebungsgebiet den Alpenraum. In der energiereichen Luftmasse im nördlichen Alpenvorland konnte sich dabei über dem Ostallgäu und über Oberbayern ein kräftiger Gewittercluster entwickeln, der auf seinem ostwärtigen Kurs vor allem hohe Regenmengen produzierte und kleinkörnigen Hagel fielen ließ. An einer privaten Wetterstation in Murnau am Staffelsee (BY) kamen dabei 51 mm in nur 1 Stunde zusammen. Auch sonst gab es mitunter kräftige Niederschläge (siehe Grafik und Tabelle). Die Bilanz des Tages im deutschen und grenznahen Raum: Vor allem Schäden an Gebäuden, Autos und in der Landwirtschaft durch orkanartige Windböen in Westpolen und besonders im Nordosten Deutschlands, z.B. Barth (MV) mit 104 km/h. Großer Hagel von 6 bis 7 cm Korngröße, z.B. Blumenthal (SA) oder Schaprode (MV). Überflutete Straßen, entwurzelte Bäume und beschädigte Stromleitungen.
Video vom Durchgang der squall-line in Rostock mit heftigem Downburst (Sturm, Starkregen und Hagel). (Quelle: Youtube, © PlanetFahrrad) 19.06.: Schwerpunkt Oberbayern, Oberschwaben, Mitteldeutschland
In den frühen Abendstunden bildete sich im Lee der Alpen ein ausgedehntes Bodentief von Süddeutschland bis Tschechien aus. Mit dessen Hilfe konnte die feuchtwarme Gewitterluft über der Südosthälfte Deutschlands mit Strömungskonvergenzen und Hebung aktiviert werden. Zunächst entstanden in den frühen Abenstunden an der berüchtigten Allgäukonvergenz am Nordalpenrand wiederholt teilweise heftige Gewitter, die gemäß der Höhenströmung und mit Starkregen und Hagel ostwärts über Oberbayern bis ins Chiemgau zogen. Später entwickelten sich auch über Oberschwaben und entlang der schwäbischen Alb niederschlagsreiche und hagelbringende Gewitterzellen. In die Nacht auf den 20.06. hinein entstanden dann auch weiter nordostwärts über Nordbayern, Thüringen und Sachsen örtlich unwetterartige Gewitter. Die Bilanz des Tages im deutschen und grenznahen Raum: Hagel mit 4 bis 5 cm Korndurchmesser, z.B. Farchant (BY), Schenklengsfeld (HE) oder Munderkingen (BW). Überflutete Keller, z.B. Wonfurt (BY) oder Haßfurt (BY). Schadenbringende Blitzschläge während Nachtgewitter, z.B. Bautzen (SN) oder Boxberg (SN).
20.06.: Schwerpunkt Oberbayern (München), Österreich, Tschechien
Ein anderer Gewitterherd bildete sich am Thüringer Wald aus, wo orographisch unterstützt Gewitter entstanden. Auch diese wiesen eine nur geringe Zuggeschwindigkeit auf, so dass lokal hohe Regensummen mit folgenden Überflutungen auftraten. Weiter östlich gingen auch über dem Mühl- und Waldviertel in Nordösterreich Gewitterzellen hoch, welche nachfolgend vor allem über Südtschechien schadenbringende Windböen mit entwurzelten Bäumen sowie heftige Regenfälle mit Überflutungen produzierten, z.B. in Volary (CZ) mit 43 mm/2 h. Die Bilanz des Tages im deutschen und grenznahen Raum: Hagelschlag, z.B. Kiefersfelden (BY) und Lofer (A) mit jeweils 5 cm Korngröße, Kufstein (A) mit 4 cm. Zahlreiche Überflutungen und vollgelaufene Keller in Bayern, z.B. in München, Germannsdorf, Bad Tölz, oder Egmating. Verkehrschaos in München. Örtliche Schlammlawinen. 1 Mensch ertrank in den Fluten.
Ab dem Mittag löste es entlang des Alpenhauptkamms und Richtung Nordalpen aus und kräftige, mitunter nahezu stationäre Gewitter gingen nieder. Hohe Niederschlagssummen in nur kurzer Zeit waren die Folge. Am Hirschenkogel (NÖ) konnte mit 100 mm Tagesniederschlag ein neuer Bestwert seit Aufzeichnungsbeginn in Jahr 1994 erzielt werden. Dabei fielen 97 mm in nur 6 Stunden. Auch in der Stadt Salzburg kamen fast 60 mm innerhalb nur 2 Stunden vom Himmel. Solch ein Ereignis ist dort nach Statistik nur ein Mal alle 50 Jahre zu erwarten. Kräftig geschüttet hat es auch in Mürzzuschlag (St), wo mit 78 mm in nur gut 2 Stunden mehr als die Hälfte des klimatologisch üblichen gesamten Juniniederschlags zusammen kam. Mit den Unwettern gingen erhebliche Schäden durch Gerölllawinen, Murenabgängen, Bergstürze, Überschwemmungen, überflutete Keller, entwurzelte Bäume und Hagelschlag einher. Besonders betroffen waren der nördliche Teil des Salzburger Landes, das Innviertel in Oberösterreich und der obersteierische Bezirk Mürzzuschlag, wo Katastrophenalarm ausgelöst wurde.
21.06.: Schwerpunkt Südwestdeutschland, Österreich
Bereits über Frankreich trat in Dieulouard im Département Lorraine 3 cm großer Hagel auf. Beim Eintreffen der Gewitterlinie im südwestdeutschen und nordschweizerischen Raum war vor allem der Wind ein großes Thema. Durch die kräftigen und linienartig angeordneten Gewitterzellen konnten sich großräumige und schnelle Abwinde einstellen, die an der Erdoberfläche Sturmböen und teilweise sogar Orkanböen hervorriefen. Bei Gewittern wird zudem der Impuls der Höhenwinde und somit die Windgeschwindigkeit besser vertikal Richtung Erdboden durchgereicht, was eine Erhöhung der bodennahen Windgeschwindigkeit zur Folge hat (vertikaler Fluss von horizontalem Impuls). Nach Zusammenschluss mehrerer vorauseilender Gewitterzellen, wurde in Zürichberg in der Nordschweiz eine Orkanböe von 131 km/h registriert. Solch eine hohe Windgeschwindigkeit konnte dort im Sommerhalbjahr seit Messbeginn im Jahr 1981 noch nie beobachtet werden. Imposant wirkt auch die Messung einer orkanartigen Böe in Neuenburg (NE) mit 115 km/h, die durch Überlagerung von Gewitterböen und dem Joran (Fallwind vom Schweizer Jura) zustande kam. Auch über Deutschland wehten schwere Sturmböen oder orkanartige Windböen hinweg, dies besonders in Baden-Württemberg in der Bodenseeregion, am Hochrhein und in Nordbaden, sowie im Norden von Rheinland-Pfalz und in Teilen Nordrhein-Westfalens. Im Elsass im Osten Frankreichs wurden aufgrund von Gewitterwarnungen mehrere Konzerte abgesagt, in Friedrichshafen am Bodensee zerstörten Sturmböen die komplette Holzbudeneinrichtung eines geplanten Stadtfestes. Die Bilanz des Tages im deutschen und grenznahen Raum: Schadenbringende Windböen und umgestürzte Bäume, z.B. Illerrieden (BW), Burgstall (BW), Bodenseeregion/Oberschwaben, Koblenz (RP), Neuwied (RP), Kanton Zürich. Überflutete Straßen, z.B. Bad Säckingen (BW). Feuer durch Blitzschlag, Gondelsheim (BW). Mäßiger Hagelschlag, z.B. 3 cm in Unlingen (BW), 2 cm in Birkenheide (RP).
Schäden entstanden besonders durch Überschwemmungen sowie Schlamm- und Geröllmassen. Im Raum Trieben (St) mussten Ortschaften evakuiert werden, die durch Überflutungen bedroht waren. Treglwang im Paltental (St) wurde meterhoch von Schlamm und Geröll durchflutet. Muren und Unterspülungen machten zahlreiche Bahn- und Straßentrassen unpassierbar, auch die Tauernautobahn war von Murenabgängen betroffen. Zahlreiche Feuerwehren waren sowohl am 20.06. als auch am 21.06. mitunter pausenlos im Einsatz.
Auch über Italien beendeten Unwetter die schwülwarme Episode, besonders im Piemont ging es heftig zur Sache. Die Stadt Asti bekam innerhalb nur einer halben Stunde 52 mm Regen ab, was Sturzbäche und Überschwemmungen zur Folge hatte. Turin erlebte in Verbindung mit einer Superzelle bis zu 6 cm große Hagelsteine, dazu traten örtlich Orkanböen auf. Mehrere Menschen wurden dabei verletzt. Text: DK 25. Juni 2012 |