Gleich zwei kräftige Stürme, "Ulli" und "Andrea", zogen Anfang Januar 2012 innerhalb von nur drei
Tagen über das nördliche Mitteleuropa hinweg. Von den Britischen Inseln über Nordfrankreich, Benelux und Deutschland bis
nach Tschechien und Polen traten Sturm- und schwere Sturm-, an den Küsten und im höheren Bergland Orkanböen auf. In Bayern
kam eine Frau ums Leben, auf den Britischen Inseln und im Ärmelkanal starben zwei Männer. Die Stürme richteten verbreitet
Schäden an.
Wetterlage und Entwicklung
Westwindgeprägt und damit zum einen ungewöhnlich mild, zum anderen zeitweise stürmisch präsentierte sich die erste Winterhälfte
2011/12 in West- und Mitteleuropa. Innerhalb einer - von kurzen Unterbrechungen abgesehen - gut ausgeprägten Frontalzone
entwickelten sich im Dezember und Anfang Januar immer wieder kräftige Tiefdruckgebiete, die insbesondere den westlichen und
nördlichen Teilen des Kontinents wiederholt Sturm brachten (s. entsprechende Artikel). Gleich zu Beginn des neuen Jahres zogen
innerhalb von nur drei Tagen zwei Sturmtiefs, "Ulli" und "Andrea" auf ähnlichem Wege über das nördliche
Mitteleuropa ostwärts.
Sturmtief "Ulli"
"Ulli" tauchte am Neujahrstag am linken Rand der nordatlantisch-europäischen Wetterkarten auf und war zu diesem
Zeitpunkt ein bereits voll entwickeltes Tiefdruckgebiet. Da es somit noch im Jahr 2011 entstanden war, wurde es nach den
Kriterien für ungerade Jahre auf einen männlichen Namen getauft. Innerhalb von rund 36 Stunden überquerte "Ulli"
den mittleren Nordatlantik und traf in der Nacht zum 3. mit einem Kerndruck von unter 970 hPa auf den Norden der Britischen
Inseln. Unter die stark diffluente Vorderseite eines von Nordwesten heranschwenkenden Höhentroges geratend intensivierte sich
das Tief und erreichte vor der südwestnorwegischen Küste einen Kerndruck von weniger als 955 hPa. Am 4. zog "Ulli"
über den Skagerrak und Südschweden hinweg zum Bottnischen Meerbusen und schwächte sich allmählich ab. Im Bereich des
Starkwindfeldes auf seiner Südseite konnten an der Nordseeküste in 850 hPa (ca. 1.500 Meter Höhe) Mittelwinde bis 85 kt
(157 km/h) analysiert werden. Über Deutschland betrugen die mittleren Windgeschwindigkeiten in diesem Niveau noch meist 50
bis 70 kt (93 bis 130 km/h).
Bodendruckanalysen vom 03./04.01.2012 | Quelle: FU Berlin / DWD / wetter3.de |
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03.01.2012, 00 UTC |
03.01.2012, 12 UTC |
04.01.2012, 00 UTC |
04.01.2012, 12 UTC |
500-hPa-Geopotential und Bodendruck vom 03./04.01.2012 | Quelle: wetter3.de |
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03.01.2012, 00 UTC |
03.01.2012, 12 UTC |
04.01.2012, 00 UTC |
04.01.2012, 12 UTC |
Am 3. entfaltete "Ulli" seine Kraft zunächst über den Britischen Inseln. Verbreitet traten Sturm-, vor allem an den
Westküsten auch schwere Sturm- und Orkanböen auf. Das walisische Aberdaron meldete bereits in den frühen Morgenstunden eine
150-km/h-Böe. Auch an den Flughäfen von Glasgow und Edinburgh wurden Orkanböen gemessen (144 und 130 km/h), in den etwas
erhöhten Lagen konnten Spitzenböen jenseits 150 km/h registriert werden (z. B. Glen Ogle, 564 m, 167 km/h). An den Flughäfen
der Hauptstädte Dublin (115 km/h), Belfast (102 km/h) und London (76 km/h) blies der Wind ebenfalls in Sturm- beziehungsweise
mit orkanartiger Stärke.
Spitzenböen (3-/6-stündig) im Nordwesten Europas vom 03.01.2012, jeweils bis zum angegebenen Termin | Quelle: DWD |
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03.01.2012, 06 UTC |
03.01.2012, 12 UTC |
03.01.2012, 18 UTC |
04.01.2012, 00 UTC |
Einhergehend mit dem okkludierenden Frontensystem des Tiefs griff in den Nachmittags- und Abendstunden auch dessen Sturmfeld
auf das europäische Festland über. Im Norden Frankreichs meldeten nur die unmittelbar an der Küste gelegenen Stationen schwere
Sturm- oder orkanartige Böen (z. B. La Hague 109 km/h), im Binnenland blieb es bei stürmischen Böen und Sturmböen. In den
Benelux-Staaten hingegen wurde oftmals Windstärke 9 oder 10 verzeichnet, unter anderem an den Flughäfen von Amsterdam (90 km/h)
und Brüssel (83 km/h).
In Deutschland beschränkten sich orkanartige Böen ebenfalls meist auf das unmittelbare Küstenumfeld (z. B. St. Peter-Ording
112 km/h) und die Mittelgebirge (z. B. Weinbiet / Pfälzer Wald 130 km/h). Vor allem in der Nordwesthälfte traten gebietsweise
schwere Sturmböen, am Flughafen Münster/Osnabrück sowie in Aachen-Orsbach mit jeweils 112 km/h Böen der Stärke 11 auf.
Generell ruhiger blieb es in der Südosthälfte, wo in der Nacht zum 4. lediglich einzelne Sturmböen beobachtet werden konnten.
Hier brachte es in den tiefen Lagen lediglich Chemnitz mit 101 km/h auf mehr als 9 Beaufort.
Niederschlagsradarbilder vom 03./04.01.2012 | Quelle: DWD |
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03.01.2012, 18:00 MESZ |
03.01.2012, 22:00 MESZ |
04.01.2012, 02:00 MESZ |
04.01.2012, 06:00 MESZ |
Größere Schäden richtete der Sturm besonders auf den Britischen Inseln an, wo zudem zwei Menschen ums Leben kamen. Ein Mann
wurde auf einem Tanker im Ärmelkanal von einer Welle tödlich verletzt, ein anderer in Tunbridge Wells südöstlich von London
in seinem Wagen von einem Baum erschlagen. Im Westen Schottlands rissen Windböen mehrere Wohnmobile um, dabei wurden fünf
Menschen verletzt. Die Fähre Dover - Calais musste vorübergehend ihren Betrieb einstellen, an den Flughäfen Glasgow und
Edinburgh verspäteten sich zahlreiche Flüge oder fielen ganz aus. Auch der Bus- und Bahnverkehr wurde stark behindert. Im
Norden Frankreichs führte der Sturm zu Stromausfällen, in der nördlichsten Region Nord-Pas-de-Calais waren 13.000 Haushalte
ohne Strom. Aus Deutschland wurden derweil meist nur kleinere Schäden gemeldet. Im Raum Aachen zählten Polizei und Feuerwehr
rund 30 sturmbedingte Einsätze, eine Person soll von einer vom Sturm gelösten Satellitenschüssel getroffen worden sein.
Sturmtief "Andrea"
Deutlich nördlicher als zuvor "Ulli" formierte sich am 3. das spätere Sturmtief "Andrea" über dem Norden
Kanadas. Es wählte zunächst eine ungleich nördlichere Route als "Ulli" und zog am Norden Neufundlands vorbei über
die Labradorsee hinweg auf die Südspitze Grönlands zu. Vermutlich zu einem Großteil orografischen Effekten geschuldet,
entstand zum 4. auf der Ostseite der Inselspitze ein neuer Tiefkern. Etwa zwölf Stunden später wiederholte sich der Vorgang
südlich von Island, schließlich verlagerte sich "Andrea" als Ganzes mit ihrem Zentrum unter Intensivierung über die
Färöer und die nördliche Nordsee hinweg zum Skagerrak und Kattegat und nach Südschweden. Trotz eines höheren minimalen
Kerndrucks zwischen 960 und 965 hPa wies das Tief gegenüber "Ulli" ein wesentlich breiter angelegtes, wenngleich
nicht unbedingt kräftigeres Starkwindfeld auf. Ursächlich dafür war die im Vergleich mit "Ulli" um einige hundert
Kilometer nach Südosten verschobene Position des Azorenhochs, das einen großen Luftdruckgradient zwischen dem Tiefkern im
Norden und Südwesteuropa begünstigte. Der maximale Luftdruckunterschied zwischen der deutsch-dänischen Grenze und dem
Hochrhein betrug bei "Andrea" rund 40, bei "Ulli" etwa 32 hPa.
Bodendruckanalysen vom 05./06.01.2012 | Quelle: FU Berlin / DWD / wetter3.de |
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05.01.2012, 00 UTC |
05.01.2012, 12 UTC |
06.01.2012, 00 UTC |
06.01.2012, 12 UTC |
500-hPa-Geopotential und Bodendruck vom 05./06.01.2012 | Quelle: wetter3.de |
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05.01.2012, 00 UTC |
05.01.2012, 12 UTC |
06.01.2012, 00 UTC |
06.01.2012, 12 UTC |
Auf den Britischen Inseln wurden in Zusammenhang mit "Andrea" insgesamt weniger hohe Windgeschwindigkeiten gemessen
als zwei Tage zuvor bei "Ulli". Vielerorts traten dennoch Sturm- und schwere Sturmböen auf, beispielsweise auch
wieder am Londoner Flughafen Heathrow (83 km/h). Selbiges galt für den Norden Frankreichs und Benelux, nur an einzelnen
Stationen standen am Tagesende dreistellige Spitzenböen zu Buche (z. B. Lille 102 km/h).
Spitzenböen (3-stündig) in Mitteleuropa vom 05.01.2012, jeweils bis zum angegebenen Termin | Quelle: DWD |
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05.01.2012, 03 UTC |
05.01.2012, 09 UTC |
05.01.2012, 15 UTC |
Im Warmsektor des Tiefs, der sich durch eine vertikal stabile Luftschichtung auszeichnete, blieben in Deutschland Böen
größer 100 km/h zunächst den Mittelgebirgen vorbehalten. An der Kaltfront, die unmittelbar unter einem Starkwindband in der
oberen Troposphäre angesiedelt war (s. Analysegrafiken), formierte sich eine ausgeprägte Gewitterlinie, wie sie in dieser
Form nur selten im Winterhalbjahr über Mitteleuropa beobachtet werden kann. Sie zog von Nord nach Süd über Deutschland
hinweg, in ihrem direkten Umfeld wurden Starkregen, kleiner Hagel sowie Sturm- und schwere Sturmböen bis ins Flachland
beobachtet. Aufgrund der relativ großen Zuggeschwindigkeit schlugen sich die nur kurze Zeit andauernden Starkniederschläge
nur bedingt in den stündlichen Niederschlagsmengen nieder; immerhin aber wurden zum Beispiel in Bad Mergentheim im Nordosten
Baden-Württembergs zwischen 13 und 14 Uhr MEZ 12,9 mm gemessen. Stötten auf der Schwäbischen Alb verzeichnete zwischen 14 und
15 Uhr MEZ eine 119-km/h-Böe, an der Station München/Stadt konnten mit Passage der Kaltfront eine Stunde später 101 km/h
aufgezeichnet werden. Die Kaltfront ging zudem mit einem markanten Temperaturrückgang einher, an manchen Stationen fielen
die Werte innerhalb einer Stunde um mehr als 7 K. So wurden in Worms im Osten von Rheinland-Pfalz vor der Front um 12 Uhr
+10,3 °C, eine Stunde später dagegen nur noch +3,2 °C gemessen.
Satellitenbilder und 300-hPa-Isotachen (= Linien gleicher Windgeschwindigkeit, in m/s) vom 05.01.2012 | Quelle: EUMeTrain |
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05.01.2012, 00 UTC |
05.01.2012, 06 UTC |
05.01.2012, 12 UTC |
05.01.2012, 18 UTC |
Niederschlagsradarbilder vom 05.01.2012 | Quelle: DWD |
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05.01.2012, 06:00 MEZ |
05.01.2012, 09:00 MEZ |
05.01.2012, 12:00 MEZ |
05.01.2012, 15:00 MEZ |
Blitzkarten vom 05.01.2012 | Quelle: DWD |
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05.01.2012, 05-06 MEZ |
05.01.2012, 08-09 MEZ |
05.01.2012, 11-12 MEZ |
05.01.2012, 14-15 MEZ |
Satellitenbilder (MSG VIS) und stündliche Niederschlagsmengen, jeweils bis zum angegebenen Termin | Quelle: DWD JavaMAP |
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05.01.2012, 09 UTC |
05.01.2012, 12 UTC |
05.01.2012, 15 UTC |
In der Schweiz traten auf den Bergen Spitzenböen zwischen 150 und 190 km/h, auf dem Großen St. Bernhard knapp 210 km/h als
größter Wert auf. Im Flachland wurden an den Stationen von MeteoSchweiz wie in der Bundesrepublik vielfach Sturm- und
schwere Sturmböen registriert. Ebenso wie in Deutschland blieben die Windgeschwindigkeiten allerdings insgesamt hinter den
prognostizierten Werten zurück. Somit kann "Andrea" aus meteorologischer Sicht als durchaus kräftiger Wintersturm,
jedoch nicht als Extremereignis wie zum Beispiel "Lothar" 1999 oder "Kyrill" 2007 klassifiziert werden.
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Aufzug der Kaltfront vom Stuttgarter Fernsehturm aus gesehen.
Aufnahmezeitpunkte: 14:08 Uhr MEZ und 14:15 Uhr MEZ; Quelle: fernsehturmstuttgart.com |
Schäden in Konstanz. Foto: Helmar Ehmele |
Infolge von "Andrea" kam mindestens ein Mensch ums Leben: Im oberfränkischen Weißenstadt starb eine Autofahrerin
bei einem Frontalzusammenstoß, der nach Angaben der Polizei vermutlich auf das windige Wetter zurückzuführen war. Eine
weitere Autofahrerin verunglückte in Krefeld bei einem Zusammenprall mit einem Baum tödlich; inwieweit der Sturm hierbei
eine Rolle spielte, blieb zunächst unklar.
Der Sturm richtete vor allem im Norden und in der Mitte Deutschlands teilweise größere Schäden an. So fuhr im Münsterland
ein Regionalzug gegen einen umgestürzten Baum und entgleiste, der Schaden betrug ca. 100.000 Euro. In Sachsen und
Sachsen-Anhalt kam es in etwa 10.000 Haushalten zu Stromausfällen. Im ganzen Land wurden Bäume entwurzelt und Gegenstände
durch die Luft gewirbelt. Auf den Autobahnen hatten größere Lastwagen mit den Böen zu kämpfen, in Hessen kippte ein LKW um.
Auch durch die zahlreichen Gewitter entstanden örtlich Schäden; so geriet in der Gemeinde Wald im Allgäu in Bayern der
Glockenturm einer Kirche in Brand, als Ursache wurde ein Blitzeinschlag vermutet. Die wiederholten, teilweise länger
andauernden und kräftigen Regenfälle ließen die Pegel vieler Flüsse steigen. In Köln wurde die Hochwassermarke 1 erreicht,
was erste Einschränkungen im Schiffsverkehr zur Folge hatte.
Im Vorfeld des Sturms hatte es zahlreiche Warnungen gegeben, sodass einige öffentliche Einrichtungen - zum Beispiel der
Karlsruher Stadtgarten - geschlossen blieben. In Frankfurt wurden rund 20 Beerdigungen abgesagt, auch in der Pfalz sperrten
die Behörden vereinzelt Friedhöfe.
Text: CE
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