Eingebettet in einer kräftigen Westströmung entwickelten sich Ende November und Anfang Dezember 2011 schon zahlreiche kräftige
Tiefdruckgebiete, die für Sturm und Orkan in weiten Teilen Nordwest- und Mitteleuropas sorgten. Nach Tief "Xaver",
"Yoda", "Christoph" und "Ekkehard" machte am 08.12. das außergewöhnlich starke Orkantief
namens "Friedhelm" vor allem über Schottland auf sich aufmerksam. Verbreitete Orkanböen hinterließen schwere Verwüstungen,
50.000 Haushalte waren mehrere Tage ohne Strom.
Wetterlage und Entwicklung
Nachdem sich in der ersten Dezemberdekade über dem Ostatlantik schon mehrfach Sturmtiefs bildeten und Nordwest- sowie
Zentraleuropa stürmisches Wetter brachten, markiert das am 08.12. vor allem über Schottland hinwegziehende Orkantief "Friedhelm"
in Sachen Sturmaktivität einen vorläufigen Höhepunkt. Ausgehend von einer sich ständig reintensivierenden und lebhaften Westwindzone,
die in den ersten Dezembertagen von Neufundland quer über den Nordatlantik bis zum europäischen Festland reicht, sind eingelagerte und wiederholt auftretende
Wellenstörungen häufig der Startpunkt intensiver Tiefdrucksysteme, besonders dann, falls sich diese in einer Umgebung günstiger Entwicklungsbedingungen
befinden. Genau letzteres trat ab dem 07.12. ein, als ein Höhentrog gekoppelt mit einem Jetstreak über den Nordatlantik ostwärts
wanderte. In diesem Starkwindband wurden auf 300 hPa, entsprechend etwa 9 km Höhe, maximale Windgeschwindigkeiten bis zu
160 kn (296 km/h) erreicht. In derselben Region existierte an diesem Tag um 12 UTC bodennah ein junges Tiefdruckgebiet namens "Friedhelm"
mit einem Kerndruck von 1001 hPa.
Die entscheidende Entwicklung vollzog sich in den darauf folgenden Stunden, als das Bodentief unter die, in Strömungsrichtung
gesehen, linke Auszugsseite des Jetstreaks geriet und mit der großräumigen Strömung ostwärts zog. Auf den Geopotentialkarten
lässt sich dies gut verifizieren. Das Gebiet maximaler Isohypsendrängung (schwarze Isolinien) markiert den Jetstreak über dem
Nordatlantik. Am 08.12. liegt das Bodentief (weiße Isobaren) um
00 UTC im linken Auszugsbereich dieses Starkwindbandmaximums und hat sich bereits auf einen Kerndruck von 977 hPa vertieft.
In dieser dynamisch günstigen Umgebung finden Tiefdruckgebiete im Allgemeinen optimale Entwicklungschancen vor. Nur 12 Stunden später fiel der Kerndruck
des Systems vor der Küste Schottlands auf 957 hPa. Innerhalb eines Tages konnte somit ein massiver Druckfall von 44 hPa/24 h
beobachtet werden. Treten starke Intensivierungen mit einem Druckfall von mehr als 24 hPa binnen 24 Stunden auf, so spricht
man von einer rapiden Zyklogenese. "Friedhelm" überbot diese Schwelle sogar deutlich.
Bodendruckanalysen vom 08. bis 09.12.2011 | Quellen: Met Office / wetter3.de |
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08.12.2011, 00 UTC |
08.12.2011, 12 UTC |
09.12.2011, 00 UTC |
09.12.2011, 12 UTC |
500-hPa-Geopotential und Bodendruck vom 08. bis 09.12.2011 | Quelle: wetter3.de |
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08.12.2011, 00 UTC |
08.12.2011, 12 UTC |
09.12.2011, 00 UTC |
09.12.2011, 12 UTC |
Der rasche Luftdruckabbau im Kernbereich des Systems hatte den Aufbau starker Luftdruckgegensätze zur Folge. Zunehmende
Windgeschwindigkeiten ließen "Friedhelm" am 08.12. zu einem Orkantief heranwachsen, dessen Wucht vor allem
Schottland, aber auch Nordirland, Nordengland und Teile von Wales zu spüren bekamen. Großräumige Hebungsprozesse führten
strichweise zu ergiebigen Niederschlägen, so in Cumbria im Nordwesten Englands, wo Straßen wegen Überflutungen gesperrt
werden mussten und Autos von den Wassermassen beschädigt wurden. Das Hauptaugenmerk fiel aber auf die großen Windgeschwindigkeiten,
die besonders an der West- und Südflanke des Tiefkerns Orkanstärke erreichten. Selbst im geschützten Binnenland konnten
Orkanböen über 130 km/h beobachtet werden. An der Küste Schottlands, auf den Hebriden und auf Mainland bließ zeitweise im Mittel
schwerer Sturm, einhergehend mit Windspitzen von 120 km/h bis 150 km/h. Auf den Gipfeln der schottischen
Highlands wehte über mehrere Stunden hinweg voller Orkan. Sowohl auf dem Aonach Mor (1130 m) als auch auf dem Cairngorm
Summit (1245 m) wurden maximale Windböen über 200 km/h aufgezeichnet. Spitzenreiter war der Cairngorm Summit mit einer
Orkanböe von stattlichen 266 km/h; ein Wert nur knapp unterhalb des dort registrierten landesweiten Windrekordes von 283 km/h,
datiert am 20. März 1986.
Satellitenbilder MSG-IR vom 08. bis 09.12.2011 | Quelle: B. J. Burton |
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08.12.2011, 00 UTC |
08.12.2011, 12 UTC |
09.12.2011, 00 UTC |
09.12.2011, 12 UTC |
Aufgrund der hohen Windgeschwindigkeiten waren immense Schäden zu beklagen. Zahlreiche Bäume fielen den Orkanwinden zum Opfer
und rissen Stromleitungen nieder. Rund 50.000 Haushalte waren mehrere Tage ohne Strom. Viele Dächer wurden abgedeckt, mancherorts
ganze Häuser stark beschädigt. In der Hafenstadt Ardrossan, gelegen in der Grafschaft Ayrshire, fing eine Windkraftanlage durch
Überlastung und Kurzschluss Feuer. Etliche andere Windenergieanlagen erlitten Schäden oder Windräder knickten zu Boden.
Hoher Wellengang und stürmische Brandung verursachten an den Küstenabschnitten Überflutungen und
Schäden sowie Probleme im Schiffsverkehr. Hunderte Schulen blieben geschlossen, in Fort William und in Rothesay mussten in zwei
Krankenhäusern Notstromaggregate einspringen. Nachdem Teile des Dachs weggeweht wurden, mussten zudem Patienten in andere
Unterkünfte evakuiert werden. Einige Schulbusse sowie LKWs fegte der Sturm mit sich, das öffentliche Leben
kam praktisch zum Erliegen.
Schadensbilder aus Schottland | Quellen: twitter, yfrog, freefoto.com, wind-watch.org |
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Windfarm, Ardrossan © Stuart McMahon |
Union Street, Aberdeen © Nicola Reid |
Fischerboot, Isle of Skye © Ian Britton, FreeFoto.com |
Abgedecktes Dach, Stirling © Ewan McTaggart |
Zum 09.12. verlagerte sich Tief "Friedhelm" mit Orkanböen weiter über die Nordsee ostwärts. Über Dänemark und
Südskandinavien angekommen verlor der Sturm an Intensität und der Orkanwirbel füllte sich zunehmend auf. Nur auf freier
See, in den Hochlagen des nördlichen und zentralen Mitteleuropas, sowie direkt an den betroffenen Küsten Norwegens, Schwedens,
Deutschlands und Dänemarks konnten noch Orkanböen aufgenommen werden. Die Windgeschwindigkeiten fielen jedoch moderater aus
als zuvor über Schottland. Dementsprechend blieben dort größere Schäden aus. Gleichzeitig floss auf der Rückseite des Tiefs
subpolare Meeresluft südwärts, welche im Norden und in den Hochlagen der Britischen Inseln für nennenswerte Schneefälle und
winterliche Verhältnisse sorgte.
Zum Höhepunkt des Orkans zeigen Analysen an der West- und Südflanke des Tiefkerns violette Windfieder, welche Windstärken ab
Beaufort 10 markieren. In diesem Bereich herrschte mit mittleren Windgeschwindigkeiten über 90 km/h schwerer oder sogar
orkanartiger Sturm mit entsprechend noch stärkeren Windböen in voller Orkanstärke. Bojenmessungen vor der irischen und
schottischen Küste registrierten Wellenhöhen bis knapp 10 Meter. Eine Animation verfolgt im dreistündigen Abstand die rasche
Entwicklung des Tiefdruckwirbels über dem Ostatlantik. Das rechte Bild zeigt eine Nahaufnahme des Tiefdruckkerns zum Zeitpunkt
der stärksten Wetteraktivität über Schottland.
Analysen, Animation und Satellitenbild | Quellen: Eumetrain, Met Office, University of Dundee |
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10 m-Wind, 08.12., 12 UTC |
10 m-Wind, 08.12., 18 UTC |
Animation |
Kern über Schottland, 08.12. |
Nachstehend eine Auswahl gemessener Spitzenböen auf den Britischen Inseln am 08.12.2011 (links) und im nördlichen und zentralen
Mitteleuropa am 09.12.2011 (rechts). Quellen: Met Office, DWD, WetterOnline.
Ort |
Böe |
Cairngorm Summit (1245 m) Aonach Mor (1130 m)
Glen Ogle (564 m) Cairnwell (933 m) Great Dun Fell (847 m) Tulloch Bridge (236 m)
Foula (13 m) Fair Isle (57 m) Tiree Island (12 m) Inverbervie (134 m) Stornoway (15 m) Aberdaron (94 m)
Glasgow (59 m) |
266 km/h 233 km/h 180 km/h 174 km/h 172 km/h
169 km/h 157 km/h 148 km/h 146 km/h 144 km/h 137 km/h 130 km/h 115 km/h |
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Ort |
Böe |
Brocken (D, 1142 m) Ekofisk (N, 29 m) Tyra Oest (DK, 43 m)
Lista Fyr (N, 14 m) Obrestad (N, 26 m) Zugspitze (D, 2962 m) Weinbiet/Pfalz (D, 557 m)
Säntis (CH, 2500 m) Nordoyan Fyr (N, 33 m) F3 (Platform) (NL, 49 m) Feldberg/Schw. (D, 1493 m) Aalborg (DK, 13m)
Nidingen (S, 2 m) |
166 km/h 152 km/h 151 km/h 141 km/h 137 km/h
133 km/h 126 km/h 120 km/h 119 km/h 119 km/h 119 km/h 117 km/h 115 km/h |
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Text: DK
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In Zusammenarbeit mit:
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