Zwei Todesopfer und mehrere Verletzte forderten mit der Passage einer Kaltfront einhergehende heftige Gewitter am 22. Juni
2011 in Deutschland. Schäden entstanden vor allem durch schwere Sturm- und Orkanböen; in Stötten auf der Schwäbischen Alb
wurden 130 km/h gemessen.
Wetterlage und Entwicklung
Das letztendlich verantwortliche Tiefdruckgebiet, "Gunnar", entstand bereits eine knappe Woche vor dem Ereignis am
16./17. Juni bei Neufundland. Bis zum 21. hatte es sich ostwärts über den Nordatlantik hinweg zu den Britischen Inseln
verlagert, seine weit nach Osten vorgeschobene und wellende Warmfront brachte den mittleren Teilen Deutschlands an diesem
Tag etwas Regen. Während das Tiefzentrum von nun an nur noch langsam über Irland, den Norden Englands und Schottland hinweg
zur Nordsee zog, überquerte der Nordteil seiner Kaltfront die nördlichen Gebiete Mitteleuropas in der Nacht zum 22. In ihrem
Südteil jedoch hing die Front weit nach Westen zurück und verlief um 0 UTC über den Süden Deutschlands, Ost- und Südfrankreich
bis zur Iberischen Halbinsel und zum östlichen Nordatlantik. Zu dieser Zeit vollzog sich die entscheidende Entwicklung, als
sich an der Front über der Mitte Frankreichs eine zunächst flache Welle formierte. Unter Verstärkung zu einem Randtief, das
als "Gunnar II" bezeichnet wurde, wanderte diese bis zum frühen Nachmittag über die Westhälfte der Bundesrepublik
nach Norddeutschland und im weiteren Verlauf zur südlichen Ostsee. Auf der Vorderseite der Welle bzw. des Randtiefs wurde die
Kaltfront von "Gunnar" als Warmfront nach Norden rückläufig, gleichzeitig im Warmsektor vorübergehend warme und
äußerst feuchte, in den unteren Schichten dem westlichen Mittelmeerraum entstammende Luft in den Süden Mitteleuropas geführt.
Sie wies verbreitet Taupunkte über +15 °C auf. Im Laufe des Nachmittags und Abends zog die Kaltfront auf der Rückseite
des Randtiefs zusammen mit einer vorgelagerten bodennahen Konvergenzlinie beschleunigt über Deutschland hinweg ostwärts. Mit
ihr wurde die feuchtwarme Luft abgedrängt und durch mäßig warme und trockenere Meeresluft ersetzt.
Bodendruckanalysen vom 22.06.2011 | Quellen: FU Berlin / DWD / wetter3.de |
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22.06.2011, 00 UTC |
22.06.2011, 06 UTC |
22.06.2011, 12 UTC |
22.06.2011, 18 UTC |
Pseudopotentielle Temperatur (= Maß für den Energiegehalt der Luft) in 850 hPa und Bodendruck vom 22.06.2011 Quelle: wetter3.de |
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22.06.2011, 00 UTC |
22.06.2011, 06 UTC |
22.06.2011, 12 UTC |
22.06.2011, 18 UTC |
Ein erstes, mit Gewittern durchsetztes Regengebiet zog in der Nacht zum 22. von Ostfrankreich her kommend über das nördliche
Baden-Württemberg und Nordbayern hinweg ostwärts. Es ließ sich der Warmfront des Randtiefs zuordnen, wobei insbesondere
Warmluftadvektion in den unteren Schichten einen entscheidenden Impuls für großräumige Hebung der bereits stromab potentiell
instabil geschichteten Luftmasse geliefert haben dürfte. Dabei wurden immerhin bereits Niederschlagsmengen bis 11 mm
(Darmstadt/HE) innerhalb von sechs Stunden beobachtet. Derweil entstanden an der französischen Biskayaküste westlich von
Bordeaux die später mit dem Nordteil der Kaltfront in Verbindung stehenden Gewitter. Sie organisierten sich am Vormittag über
der Mitte Frankreichs zu einer Gewitterlinie, die Kurs auf das südliche Belgien, das Saarland, Rheinland-Pfalz und den Norden
Baden-Württembergs nahm. Mit zunehmend günstiger Tageszeit und präfrontaler Aufheizung - in weiten Teilen Deutschlands wurden
Höchsttemperaturen um +25, im Südosten bis +31 °C gemessen - intensivierte sich diese und weitete sich zu einer breiten
Gewitterzone aus. Die stündlichen Niederschlagsmengen betrugen vielerorts um 20, örtlich auch über 25 mm (z. B. Raunheim/HE
26 mm zwischen 14 und 15 Uhr MESZ, Düben/SA 26 mm zwischen 18 und 19 Uhr MESZ). Schadenträchtiger waren jedoch die begleitenden
Sturmböen, Bad Kissingen im Norden Bayerns registrierte zwischen 16 und 17 Uhr MESZ mit 97 km/h sogar schweren Sturm.
Ebenfalls schwere Sturmböen wurden am frühen Abend aus dem Osten Deutschlands gemeldet (z. B. Leipzig/Flgh. 101 km/h). In
Altenlotheim (Nordhessen) wütete vermutlich ein Tornado.
Blitzanimation (Größe ca. 7 MB) / Niederschlagsradarbilder vom 22.06.2011 | Quelle: DWD |
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22., 00:00 bis 23., 03:00 MESZ |
22.05.2011, 15:00 MESZ |
22.06.2011, 18:00 MESZ |
22.06.2011, 21:00 MESZ |
Die Kaltfront und die mit ihr zusammenhängenden Gewitter traten nicht als einheitliche Linie, sondern vielmehr als zwei
getrennte, voneinander abgesetzte Bereiche mit starker konvektiver Aktivität in Erscheinung. Über dem östlichen Frankreich
formierte sich gegen Mittag eine weitere, recht scharfe Gewitterlinie, die den südlichen Teil der Kaltfront markierte. Sie
erreichte gegen 15:30 Uhr MESZ den Rhein und überquerte bis zum Abend weite Teile Baden-Württembergs und Bayerns sowie die
Schweiz. In Rheinfelden im äußersten Südwesten Baden-Württembergs konnte dabei die höchste Stundensumme dieses Tages in
Deutschland verzeichnet werden, zwischen 16 und 17 Uhr MESZ fielen dort 35 mm. Wie schon zuvor in der Mitte und im Norden
standen aber auch bei dieser Gewitterlinie die Windböen im Vordergrund. Besonders rund um die Schwäbische Alb kam es
verbreitet zu Sturm- und schweren Sturmböen, örtlich auch zu Orkanböen. In Stötten konnten zwischen 17 und 18 Uhr MESZ 130
km/h gemessen werden, in Balingen-Bronnhaupten im Zollernalbkreis wurde mit 122 km/h ebenfalls eine Orkanböe notiert.
Satellitenbilder (Meteosat-9 VIS/IR) | Quelle: DWD |
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22.06.2011, 12 UTC |
22.06.2011, 15 UTC |
22.06.2011, 18 UTC |
22.06.2011, 21 UTC |
Die angesprochene, der Kaltfront vorgelagerte Konvergenzlinie machte sich hauptsächlich in Bayern bemerkbar. Dort gingen am
Nachmittag weit vor dem südlichen Teil der Kaltfront einige heftige Gewitter nieder, die teils über den Alpen, teils über dem
Allgäu entstanden waren. Neben kräftigen Böen wurden auch Hagelkörner mit Größen um 4 cm im Durchmesser bei Rosenheim
beobachtet.
Der Unwettertag kostete in Baden-Württemberg zwei Frauen das Leben. Eine 57 Jahre alte Frau ertrank, als sie beim Kanufahren
auf dem Bodensee kenterte, eine 77-jährige wurde in Konstanz unter einem eingestürzten Erdbeerstand begraben. Mehrere Menschen
erlitten zum Teil schwere Verletzungen. In nahezu ganz Deutschland, den Nordwesten ausgenommen, richteten die Gewitter
teilweise erhebliche Schäden an. Vielerorts wurden Dächer abgedeckt und Bäume entwurzelt, auf Straßen und Schienen kam es
verbreitet zu Behinderungen. Einige Streckenabschnitte der Deutschen Bahn, unter anderem auf der ICE-Trasse Leipzig - Frankfurt
am Main, mussten gesperrt werden. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg waren rund 50.000 Haushalte vorübergehend ohne
Strom, nachdem Blitzschläge und Sturmböen Schäden an Strommasten und -leitungen verursacht hatten. Zudem wurden Ackerflächen
verwüstet, zahlreiche Keller liefen voll Wasser und mussten von den örtlichen Feuerwehren ausgepumpt werden. Das gesamte
Ausmaß der Schäden war zunächst nicht abzusehen. Ersten Schätzungen zufolge belief sich der Schaden allein in
Baden-Württemberg auf mehrere hunderttausend Euro.
Tabellen: Links die höchsten registrierten Spitzenböen am 22.06.2011, rechts - soweit vorliegend - die größten gemessenen
Niederschlagsmengen vom 22., 6 UTC bis zum 23., 6 UTC jeweils im Messnetz des Deutschen Wetterdienstes (DWD).
Ort |
22. |
Stötten (BW) Wendelstein (BY) Balingen-Bronnhaupten (BW) Dogern (BW)
Feldberg/Schw. (BW) |
130 km/h 126 km/h 122 km/h 115 km/h 108 km/h |
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Ort |
22./23. |
Rheinfelden (BW) Irschenberg-Kasthub (BY) Siegen/Kläranlage (NRW)
Tribsees (MV) Eslohe (NRW) |
46 mm 41 mm 41 mm 37 mm 33 mm |
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Heftige Gewitter und Schäden wurden auch aus der Schweiz und Österreich gemeldet. In der Deutschschweiz traten verbreitet
Sturmböen auf, in Tirol fiel in mehreren tausend Haushalten der Strom aus. Im Raum Salzburg wurde der Schaden an der
Landwirtschaft auf rund 300.000 Euro geschätzt.
Text: CE
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