Heftige Regenfälle gingen Anfang August 2010 zunächst in den Alpen und Südbayern, später auch in Tschechien,
Ostdeutschland und Polen nieder und hatten in mehreren Regionen Hochwasser zur Folge. Besonders dramatisch stellte sich
die Lage im östlichen Mitteleuropa und in Sachsen dar, wo an der Neiße teilweise neue Rekordpegelstände erreicht wurden.
Mindestens zehn Menschen kamen ums Leben.
Wetterlage und Entwicklung
An der Nordwestflanke hohen Geopotentials über dem mittleren Nordatlantik sorgten von Ende Juli bis weit in den August 2010
hinein wiederholt nach Südosten gerichtete Trogvorstöße in Mitteleuropa für unbeständiges Wetter mit häufigen Regenfällen,
Schauern und Gewittern. Bereits Anfang August entstand aus einer Frontalwelle an der Südspitze Grönlands Tiefdruckgebiet
"Viola", das sich mit seinem Zentrum zunächst nach Island bewegte. Es war gekoppelt an einen über den Süden
Grönlands ostwärts schwenkenden Höhentrog mit geringer Amplitude, aus dem sich ein eigenständiges Höhentief abspaltete.
Innerhalb der nordatlantischen Frontalzone lief ein scharfer Kurzwellentrog südostwärts ab, der am 3. in die Zirkulation des
Höhentiefs einbezogen wurde. Dieser initiierte zunächst an der lang gestreckten Kaltfront von "Viola" eine flache
Wellen-, am 4. über der Nordsee am bereits okkludierten Teil des Frontensystems eine Teiltiefentwicklung. Ein weiterer, ebenso
markanter Kurzwellentrog verlagerte sich über Westeuropa zum westlichen Mittelmeer und weitete das inzwischen als Trogkomplex
in Erscheinung tretende Höhentief zum 5. nach Süden aus. Aus ihm ging ebenfalls ein eigenständiges Höhentief hervor, das
südlich der Alpen eine neue Zyklogenese anregte.
Bodendruckanalysen vom 05. bis 08.08.2010 | Quelle: FU Berlin / DWD |
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05.08.2010, 00 UTC |
06.08.2010, 00 UTC |
07.08.2010, 00 UTC |
08.08.2010, 00 UTC |
500-hPa-Geopotential und -Bodendruck vom 05. bis 08.08.2010 | Quelle: Wetterzentrale |
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05.08.2010, 00 UTC |
06.08.2010, 00 UTC |
07.08.2010, 00 UTC |
08.08.2010, 00 UTC |
Am 4. und 5. überdeckte "Viola", bestehend aus dem ursprünglichen Tiefkern "Viola I" und dem neu
entstandenen Teiltief "Viola II", einen weiten Bereich von den Färöern bis nach Nordwestdeutschland. Das zu dieser
Zeit bereits weitgehend okkludierte Frontensystem überquerte Mitteleuropa von Nordwest nach Südost, wurde in seinem Südteil
jedoch durch das dritte Zentrum des Tiefdrucksystems über Norditalien in seiner Südostverlagerung gebremst. Die Konstellation
mit südlichen Höhenwinden auf der Vorderseite des Randtroges respektive Höhentiefs und einer nördlichen Strömung in den
unteren Schichten hatte massive Scherung und damit Aufgleiten warmer und feuchter Luft auf kühlere Luft zur Folge. Zusätzliche
Staueffekte bewirkten nebst dynamischen Hebungsprozessen vor allem im Osten der Schweiz (Tessin) und im Westen Österreichs
(Vorarlberg) kräftige Niederschläge, wobei innerhalb von 48 Stunden verbreitet um 50 mm, örtlich noch deutlich mehr Regen
fiel. So wurden beispielsweise in Bregenz 124 mm in 24 Stunden bis zum 6., 6 UTC gemessen - eine Menge, die dort innerhalb
eines Tages nur alle zehn Jahre vorkommt. Die Starkregenfälle griffen auch auf den Süden Baden-Württembergs und Bayerns
über; in Balderschwang (Allgäu) wurden im selben 24-Stunden-Zeitraum 96 mm registriert.
Am 6. waren zunächst vor allem Oberbayern, Schwaben und Franken von starken Regenfällen betroffen; am Kloster Schäftlarn in
Oberbayern wurden bis zum 7., 6 UTC 63 mm binnen 24 Stunden verzeichnet. Erste Flüsse vor allem im oberen Donau-Einzugsgebiet
führten Hochwasser; Straßen, Keller sowie land- und forstwirtschaftliche Flächen wurden überflutet.
Niederschlagsradarbilder vom 06.08.2010 | Quelle: DWD |
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06.08.2010, 00:00 MESZ |
06.08.2010, 06:00 MESZ |
06.08.2010, 12:00 MESZ |
06.08.2010, 18:00 MESZ |
Im Tagesverlauf schwächten sich die Niederschläge mit der allmählich weiter ostwärts ziehenden Okklusion von "Viola"
im Westen und Süden Bayerns ab und verlagerten ihren Schwerpunkt Richtung Tschechien, Südpolen und Ostdeutschland. Das auf
der Vorderseite des nun nordostwärts wandernden Höhentiefs an der Okklusion von "Viola" entstandene dritte Tief zog
am 7. und 8. langsam über das östliche Mitteleuropa zur Ostsee. Die geringe Verlagerungsgeschwindigkeit der Druckgebilde,
großräumige Hebungsantriebe, die zum einen in Form von um das Höhentief schwenkende Randtröge, zum anderen durch Advektion
warmer Luft von Osten her und nicht zuletzt auch durch orografische Einflüsse am Erzgebirge gegeben waren, sowie sehr feuchte
Luft mit Werten des ausfällbaren Wassers von zum Teil mehr als 40 mm führten letztendlich zu länger anhaltenden, intensiven
und schauerartig verstärkten Regenfällen. Die höchste 24-stündige Niederschlagssumme bis zum 7., 6 UTC wurde an der Talsperre
in Stollberg (Erzgebirge/Sachsen) mit 97 mm beobachtet. Zwischen dem 7., 6 UTC und dem 8., 6 UTC meldete das sächsische
Bertsdorf-Hörnitz 101 mm, insgesamt waren dort binnen zwei Tagen 160 mm gefallen. Sohland an der Spree und Kubschütz im
Landkreis Bautzen warteten mit 89 und 87 mm auf.
Niederschlags-Summenlinien an Stationen in Bayern für den Zeitraum 05.-07.08.2010 | Quelle: HND Bayern |
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Oberstaufen-Thalkirchdorf |
Schattenhof |
Buch |
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Radaranimation, 05., 07:00 UTC bis 08.08.2010, 07:00 UTC in
30-min-Schritten / Größe ca. 8 MB Quelle der Bilder: CHMI |
Zwar beschränkten sich die intensivsten Regenfälle auf das Dreiländereck Deutschland - Tschechien - Polen, summierten sich
dort aber an einigen Stationen auf dreistellige Messwerte. In Liberec kamen 166 mm in 48 Stunden zusammen - das ist in etwa
das Doppelte der nach dem klimatologischen Mittel der Jahre 1961 bis 1990 im gesamten Monat August zu erwartenden Menge. In
Hejnice, einer Kleinstadt etwa 20 Kilometer nordöstlich von Liberec, fielen innerhalb von drei Tagen (6. bis 8.) 267 mm -
davon 200 mm binnen eines Tages am 7. mit einer maximalen Stundensumme von 58 mm.
Die zwar regional begrenzten, aber hohen Niederschlagssummen in gebirgigem Gelände und damit große Abflussmengen ließen
Bäche und Flüsse rasch anschwellen und führten in der Summe auch an Neiße und Spree zu Hochwasser. Einen Anteil daran hatte
zudem eine gebrochene Staumauer am Witka-Stausee (polnisch: Niedów-Stausee) im Süden Polens, wodurch sich die Lage am
Abend des 7. an der Neiße zuspitzte. Über den Fluss Witka ergossen sich enorme Wassermassen in die Lausitzer Neiße, was dort
ein rasantes Ansteigen der Pegel und örtlich neue Rekordwasserstände zur Folge hatte. So konnten in Görlitz ein Anstieg um
mehr als vier Meter innerhalb von vier Stunden und ein neuer Rekordhöchststand von 7,07 Metern am Morgen des 8. verzeichnet
werden. Zuvor waren 6,71 Meter im Jahr 1981 die Höchstmarke, normal ist ein Wasserstand von 1,70 Meter.
Niederschlagsradarbilder vom 07.08.2010 | Quelle: DWD |
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07.08.2010, 00:00 MESZ |
07.08.2010, 06:00 MESZ |
07.08.2010, 12:00 MESZ |
07.08.2010, 18:00 MESZ |
Pegelverläufe vom 05. bis 11.08.2010 an drei Messstellen in Sachsen. Die farbigen Linien markieren die Alarmstufen.
Quelle: Landesamt für Umwelt und Geologie, Sachsen |
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Zittau 1/Neiße |
Görlitz/Neiße |
Bautzen UP 1/Spree |
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Betroffenes Gebiet und Orte. Quelle: tagesschau.de |
Mehrere hundert Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen, im gesamten Landkreis Görlitz waren es mehr als 1.400. Auch Teile
der südlich gelegenen Kleinstadt Ostritz wurden evakuiert, nachdem das Wasser eine Schutzmauer überflutet hatte. Zwei
unbewohnte Häuser stürzten ein. Am 8. wanderte die Flutwelle weiter nach Norden, während die Pegelstände in den schwer
getroffenen Städten Görlitz und Zittau wieder zurückgingen.
Nach ersten Schätzungen bewegten sich die Schäden allein im Landkreis Görlitz im dreistelligen Millionenbereich. Schwer
beschädigt wurde auch die Klosteranlage St. Marienthal bei Ostritz, die komplett vom Wasser überspült wurde. Dagegen kam der
zum UNESCO-Welterbe zählende Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau vergleichsweise glimpflich davon. Deichbrüche in der Nähe der
Stadt verschärften jedoch die Situation vorübergehend, einige Dörfer und zahlreiche Straßen standen unter Wasser. Die Dörfer
waren zuvor evakuiert worden. Weiter stromab konnte die Oder die Wassermassen aus der Neiße problemlos aufnehmen, ein größeres
Hochwasser blieb hier aus.
Auch im Süden Polens und im Norden Tschechiens richteten Überschwemmungen und Hochwasser massive Schäden an. Besonders schwer
betroffen war die polnische Kleinstadt Bogatynia. Hier brachen ganze Häuser auseinander, Straßen wurden zerstört.
Zwischenzeitlich war die Stadt von der Außenwelt abgeschnitten. In der polnischen Nachbarstadt von Görlitz, Zgorzelec, wurden
ebenfalls mehrere Häuser und Straßen überschwemmt, 35 Menschen mussten aus ihren Wohnungen in Sicherheit gebracht werden.
In Tschechien bat man Hubschrauber der deutschen Bundespolizei um Hilfe, um vom Wasser eingeschlossene Menschen zu befreien.
Hier waren insbesondere die Gebiete um Liberec, Dĕčin und Ústí nad Labem betroffen. In
Frýdlant v Čechách stand das Wasser im Stadtzentrum zweieinhalb Meter hoch, mehr als 1.000 Menschen mussten
ihre Häuser verlassen.
Insgesamt kamen in Deutschland, Tschechien und Polen infolge des Hochwassers mindestens zehn Menschen ums Leben. Im Erzgebirge
ertranken drei Personen in einem Keller, als sie vermutlich durch die eindringenden Wassermassen überrascht wurden.
Der Gesamtschaden ließ sich vorerst noch nicht abschätzen. Er dürfte aber weit unterhalb jener geschätzten 8,6 Milliarden
Euro liegen, die das "Jahrhunderthochwasser" der Elbe im Jahre 2002 verursacht hat. Allein in Sachsen starben
damals 21 Menschen. Beim Oderhochwasser 1997 wurden die Schäden auf 3,8 Milliarden Euro in Tschechien und Polen und 330
Millionen Euro in Deutschland beziffert.
Satellitenbilder (NOAA-15 VIS/IR) vom 04.-07.08.2010 | Quelle: Geog. Inst., Uni Bern |
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04.08.2010, 14:55 UTC |
05.08.2010, 16:11 UTC |
06.08.2010, 15:47 UTC |
07.08.2010, 15:23 UTC |
Wetterwerte
Nachstehend oben die größten gemessenen 24-stündigen Niederschlagsmengen an DWD-Stationen vom 05. bis zum 08.08.2010,
jeweils 8 Uhr bis 8 Uhr (MESZ). Darunter eine Auswahl gemessenener Niederschlagsmengen in Tschechien vom 06. bis zum 08.08.2010,
jeweils 0 Uhr bis 0 Uhr (MESZ). Quellen: DWD, CHMI
Ort |
05./06. |
Balderschwang (BY) Immenstadt-Reute (BY) Oy-Mittelberg-Petersthal (BY)
Sigmarszell-Zeisertsweiler (BY) Steingaden-Riesen (BY) |
96 mm 90 mm 88 mm 82 mm 81 mm |
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Ort |
06./07. |
Stollberg/Talsperre (SN) Chemnitz (SN) Sosa/Talsperre (SN)
Falkenstein/Talsperre (SN) Einsiedel/WW (SN) |
97 mm 75 mm 74 mm 74 mm 74 mm |
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Ort |
07./08. |
Bertsdorf-Hörnitz (SN) Sohland/Spree (SN) Kubschütz (SN)
Dürrhennersdorf (SN) Gottleuba/TS (SN) |
101 mm 89 mm 87 mm 77 mm 70 mm |
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Ort |
06. |
07. |
08. |
Summe |
Hejnice Bedřichov Smědava - U Jeřábu
Nová Louka Na Kneipě |
29 mm 18 mm 24 mm 20 mm 17 mm |
200 mm 183 mm 145 mm 130 mm 136 mm |
38 mm 24 mm 8 mm 22 mm 13 mm |
267 mm 225 mm 177 mm 172 mm 166 mm |
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Text: CE
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In Zusammenarbeit mit:
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