Die erste frühsommerliche Unwetterlage des Jahres 2010 war Ende Mai in Teilen Mitteleuropas gleich für spektakuläre
Entwicklungen gut: So wütete am Pfingstmontag in Ostdeutschland mindestens ein Tornado, der - sollte es sich um einen
einzigen gehandelt haben - eine der längsten Wegstrecken, die je in Deutschland beobachtet wurden, zurückgelegt hat. Dabei
war ein Todesopfer zu beklagen. An den Folgetagen kam es besonders in der Südhälfte des Landes sowie in Osteuropa zu
kräftigen Gewittern mit Starkregen und Hagel.
Wetterlage und Entwicklung
Über die Pfingsttage bestimmte zunächst das Hochdruckgebiet "Siegbert" mit Schwerpunkt bei den Britischen Inseln
das Wettergeschehen in Deutschland. Mit Temperaturen, die sich im 850-hPa-Niveau (etwa 1.500 Meter Höhe) zwischen +5 und
+10 °C bewegten und Höchstwerte am Boden zwischen +22 und +29 °C zuließen, war es dabei zwar sommerlich, jedoch
nicht ungewöhnlich warm. Dennoch stellte sich am 24. Mai eine Unwetterlage ein, die einem - und dies unterschied die
Situation von den typisch hochsommerlichen, zumeist aus Südwest aufkommenden Gewitterlagen - Tief ("Zaza") mit
Zentrum über Finnland und seiner Kaltfront geschuldet war. Diese drang von Norden her nach Deutschland vor, wobei zusätzlich
ein Randtief rasch von Dänemark in Richtung Baltikum zog. Dieses Randtief begünstigte den Aufbau einer großen vertikalen
Scherung des horizontalen Windes; am Boden herrschten windschwache Verhältnisse, in 850 hPa wurden dagegen am Nachmittag
über den neuen Bundesländern Geschwindigkeiten bis 45 kt (83 km/h) analysiert. Ein mit dem Randtief in Verbindung stehender
Kurzwellentrog stellte einen Antrieb zur großräumigen Hebung der feuchten Luft bereit. Das niederschlagsfähige Wasser, ein
Maß für den Gesamtfeuchtegehalt einer vertikalen Luftsäule, belief sich auf mehr als 25 mm.
Bodendruckanalysen vom 24. bis 26.05.2010 | Quelle: FU Berlin / DWD |
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24.05.2010, 00 UTC |
25.05.2010, 00 UTC |
26.05.2010, 00 UTC |
850-hPa-Geopotential und -Temperatur vom 24. bis 26.05.2010 | Quelle: Wetterzentrale |
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24.05.2010, 00 UTC |
25.05.2010, 00 UTC |
26.05.2010, 00 UTC |
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Grobe Zugbahn der/des Tornados am 24.05.2010 in Ostdeutschland nach Schadenbildern. Mit der Nadel markiert ist
Großenhain. Quelle: Google maps |
So entwickelten sich über der Nordosthälfte Deutschlands linienartig organisierte Gewitter, die lokal mit Starkregen und
Hagel, aufgrund ihrer raschen Verlagerungsgeschwindigkeit aber kaum mit größeren Niederschlagsmengen verbunden waren. Einen
der höchsten Stundenwerte meldete zwischen 15 und 16 Uhr MESZ das südbrandenburgische Doberlug mit 9 mm. Dafür traten
mancherorts Sturmböen (z. B. Genthin 83 km/h) und - in Verbindung mit einer rotierenden Gewitterzelle, einer
"Superzelle" - eben auch dieser zumindest eine Tornado auf, der Berichten nach zu urteilen etwa zwischen Bad
Schmiedeberg und Bischofswerda in Sachsen große Schäden anrichtete und auf seinem Weg auch den Süden Brandenburgs (Mühlberg)
tangierte (siehe Karte). Besonders schlimm war die Region um Großenhain betroffen; dort wurde ein sechsjähriges Mädchen in
einem Auto von einem umstürzenden Baum erschlagen. Sollte es sich tatsächlich um einen einzigen Tornado gehandelt haben,
wütete dieser mit 90 bis 100 Kilometern auf einer der längsten - wenn nicht der längsten - Wegstrecke, die je ein Tornado in
Deutschland zurückgelegt hat. Bisher bekannte Tornados mit ähnlich langen Zugbahnen traten im Juni 1997 in Niedersachsen und
im Januar 1916 in Bayern mit jeweils ca. 85 Kilometer auf.
Niederschlagsradarbilder vom 24.05.2010. Rot umrandet die tornadoträchtige Superzelle. | Quelle: DWD |
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13:30 Uhr MESZ |
14:30 Uhr MESZ |
15:30 Uhr MESZ |
16:30 Uhr MESZ |
Am 25. verlagerte sich die Kaltfront nach Süden, wurde dort aber wegen ihrer zunehmend höhenströmungsparallelen Lage als
Luftmassengrenze quasistationär. Dabei formierte sich in ihrem Bereich eine von einem hochreichenden Tief ("Anja")
über der Biskaya ostwärts weisende Tiefdruckrinne, aus der über Nordfrankreich ein flaches Tief hervorging. Dieses lenkte auf
seiner Vorderseite verstärkt feuchtwarme Luft von Südwesten heran, in der in Emmendingen-Mundingen bei Freiburg der offiziell
erste heiße Tag des Jahres mit einer Höchsttemperatur von mindestens +30,0 °C (+30,2 °C) an einer Station des
Deutschen Wetterdienstes erreicht wurde. Am Nachmittag entwickelten sich im Süden Deutschlands erste Gewitter, zum Abend nahm
die Gewitteraktivität mit dem sich annähernden Tief von Frankreich her zu. Örtlich trat Hagel mit Korngrößen bis 3 cm im
Durchmesser (z. B. Insheim/Rheinland-Pfalz) auf. In Zusammenhang mit dem Tief bewegte sich in der Nacht zum 26. ein MCS, ein
"mesoskaliges konvektives System" über den Norden Baden-Württembergs und Bayerns hinweg ostwärts. Dabei fielen
innerhalb weniger Stunden punktuell um 30 mm Regen (z. B. Mannheim 24 mm).
Bodendruckanalysen vom 27. bis 29.05.2010 | Quelle: FU Berlin / DWD |
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27.05.2010, 00 UTC |
28.05.2010, 00 UTC |
29.05.2010, 00 UTC |
850-hPa-Geopotential und -Temperatur vom 27. bis 29.05.2010 | Quelle: Wetterzentrale |
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27.05.2010, 00 UTC |
28.05.2010, 00 UTC |
29.05.2010, 00 UTC |
Am 26. zog ein zweites, am 27. mit dem ursprünglichen Tiefkern "Anja" ein drittes Tief auf jeweils ähnlichem Kurs
entlang der über der südlichen Mitte Deutschlands verweilenden Luftmassengrenze ostwärts. Jeweils vor allem ab den
Mittagsstunden bildeten sich im Süden zum Teil heftige und von Starkregen und Hagel begleitete Gewitter. Am 26. fielen
beispielsweise in Ingolstadt 36 mm, in Ostwürttemberg und bei Landshut wurden Hagelkörner mit Größen bis 3 cm im Durchmesser
beobachtet. Über größere Schäden lagen jedoch keine Berichte vor.
Auch mit Passage eines weiteren Randtiefs und der in die Kaltfront eines südskandinavischen Tiefs übergehenden
Luftmassengrenze wurde am 28. die feuchtwarme Luft aus dem Süden Deutschlands noch nicht endgültig ausgeräumt. Die Front
selbst brachte dort wiederum kräftige Gewitter (z. B. München/Stadt 11 mm binnen einer Stunde inklusive Hagel), und auch am
29. traten auf der Schwäbischen Alb kräftige Gewitter mit Hagel auf.
Blitzkarten vom 24. bis 28.05.2010 | Quelle: BLIDS |
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24.05.,14:45-16:45 MESZ |
25.05.,17:45-19:45 MESZ |
26.05.,16:45-18:45 MESZ |
27.05.,11:45-13:45 MESZ |
28.05.,15:45-17:45 MESZ |
In Teilen Ost- und Südosteuropas richteten schwere Gewitter ebenfalls Schäden an. Bei Wola Kałkowa und Kutno, jeweils
etwa 50 Kilometer nördlich von Łódź in Polen gelegen, gab es am 24., wenige Stunden nach dem Tornado in
Sachsen und Brandenburg, zwei weitere Tornados. Bäume wurden entwurzelt und Dächer abgedeckt. Weitere mögliche Tornados
ereigneten sich am 26. in Niederösterreich.
Satellitenbilder vom 25. bis 28.05.2010 | Quelle: Geog. Inst., Uni Bern |
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25.05., 15:02 UTC, NOAA-15 VIS/IR |
26.05., 16:17 UTC, NOAA-15 VIS/IR |
27.05., 15:54 UTC, NOAA-15 VIS/IR |
28.05., 15:29 UTC, NOAA-15 VIS/IR |
Text: CE
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