Ein kräftiges Tief brachte Anfang August 2008 West- und Mitteleuropa sowie dem Ostseeumfeld nicht nur Sturmböen und viel
Regen, sondern der Region Nord-Pas-de-Calais in Nordfrankreich auch einen der verheerendsten Tornados der vergangenen Jahre
in Europa. Drei Menschen starben, mehrere wurden teilweise schwer verletzt.
Wetterlage und Entwicklung
Sturm- oder gar schwere Sturmböen treten im Sommer häufig in Verbindung mit kräftigen Gewittern, selten im Bereich
intensiver Tiefdruckgebiete auf. Doch wie im vergangenen und im diesjährigen Sommer häufiger zu beobachten war, formierte
sich auch Anfang August 2008 ein solches, für Jahreszeit und Breitengrad ungewöhnlich starkes Tief. Dabei hatte sich über
Mitteleuropa zunächst eine lebhafte Westströmung etabliert, mit der atlantische Tiefausläufer ostwärts gesteuert wurden. Die
recht stramme Frontalzone verlief am 3. vom mittleren Nordatlantik über die Britischen Inseln, Nordfrankreich und
Norddeutschland zum Baltikum. Ein umfangreicher Höhentrog reichte von Nordrussland über Skandinavien und die Britischen
Inseln bis zum Nordatlantik. Darin eingebettet fand sich ein abgeschlossenes Höhentief mit Zentrum über der nördlichen
Nordsee. An dem Frontenzug des korrespondierenden Bodentiefdrucksystems "Amelie" bildeten sich mehrere Wellen aus - eine
davon geriet in der Nacht zum 4. über den Benelux-Staaten unter die Vorderseite eines sehr scharf ausgeprägten
Randtroges. In Anbetracht dieser günstigen Voraussetzungen entwickelte sich die Welle über dem Norden Deutschlands rapide
und reifte am 4. zu einer klassischen Sturmzyklone ("Birgit") mit einem Kerndruck von unter 990 hPa über der Ostsee.
Eine große Zunahme der Windgeschwindigkeit und eine Änderung der Windrichtung mit der Höhe im Umfeld der Kaltfront ließ an
dieser ein Band mit schauerartigen und teilweise auch gewittrigen Niederschlägen entstehen. Dramatische Folgen hatte dies
in der Nacht zum 4. in Nordfrankreich an der Grenze zu Belgien: In den Städten Maubeuge und Hautmont in der Region
Nord-Pas-de-Calais richtete einer der stärksten Tornados der letzten Jahre in Europa - geschätzt ein F3- oder F4-Tornado
(das entspricht Windgeschwindigkeiten zwischen 265 und 439 km/h) auf der Skala nach Fujita - schwerste Verwüstungen
an. Selbst massive Häuser wurden teilweise völlig zerstört. Drei Menschen starben, mehrere wurden zum Teil schwer
verletzt.
Kurz nach Mitternacht erreichte die Kaltfront mit starken Regenfällen und eingelagerten Gewittern die Nordwesthälfte
Deutschlands. Regenmengen im hohen zweistelligen Bereich innerhalb von einer Stunde waren dabei keine
Seltenheit. Beispielsweise verzeichnete der Flughafen Münster/Osnabrück zwischen 0 und 1 Uhr MESZ 29,1 mm. Bis 8 Uhr MESZ
gingen dort 12-stündig sogar 64 mm nieder, in Düsseldorf wurden im selben Zeitraum 42 mm gemessen. In den Mittelgebirgen
legte der Wind spürbar zu und wehte in Böen auf vielen Gipfeln in Sturmstärke. Auf dem 1142 Meter hohen Brocken im Harz
konnte mit 126 km/h sogar voller Orkan beobachtet werden.
Auf ihrem Weg nach Süden geriet die Kaltfront im Tagesverlauf immer mehr ins Schleifen. Wiederholte schauerartige
Regenfällen trugen dann besonders im Südwesten zu hohen 12-stündigen Regenmengen bei. Bis zum Abend summierten sich z.B. in
Heidelberg 29 mm. Verbreitet stürmische Böen bliesen in der Nordosthälfte Deutschlands, am Kap Arkona auf Rügen wurden
schwere Sturmböen registriert (94 km/h).
Am 5. war in erster Linie noch der äußerste Nordosten (z.B. Kap Arkona 101 km/h) sowie die südliche Ostsee von schweren
Sturm- oder orkanartigen Böen betroffen. Ustka an der polnischen Ostseeküste meldete 90 km/h, Hammerodde auf der dänischen
Insel Bornholm sogar 119 km/h.
Text: CE
Bodendruckanalysen vom 03. bis 06.08.2008, jeweils 00 UTC
Quelle: FU Berlin / DWD
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03.08.2008, 00 UTC |
04.08.2008, 00 UTC |
05.08.2008, 00 UTC |
06.08.2008, 00 UTC |
500 hPa-Geopotential und Bodendruck vom 03. bis 06.08.2008, jeweils 00 UTC
Quelle: Wetterzentrale
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03.08.2008, 00 UTC |
04.08.2008, 00 UTC |
05.08.2008, 00 UTC |
06.08.2008, 00 UTC |
Wetterwerte
Nachstehend eine Auswahl gemessener Spitzenböen in Deutschland vom 04.08.2008 sowie vom Ostseeumfeld und dem östlichen
Mitteleuropa vom 04. und 05.08.2008. Dazu ausgewählte 12-stg. Niederschlagsmengen in Deutschland, im Norden Frankreichs
sowie in Belgien bis jeweils zum 04.08., 06 UTC. Quellen: DWD, WetterOnline.
Ort |
Böe, 04. |
Brocken Kap Arkona Feldberg/Schw. Zugspitze Weinbiet/Pf. Wald
Greifwalder Oie Barth |
126 km/h 101 km/h 101 km/h 97 km/h
94 km/h 90 km/h 86 km/h |
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Ort |
Böe |
Datum |
Hammerodde (DK) Rønne (DK)
Kocelovice (CZ) Ostrava (CZ) Siedlce (PL) Mlava (PL) Ustka (PL) Łeba (PL) Hel (PL) |
119 km/h 98 km/h 108 km/h 101 km/h
108 km/h 101 km/h 90 km/h 90 km/h 90 km/h |
05.08. 05.08. 04.08. 04.08.
04.08. 04.08. 05.08. 05.08. 05.08. |
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Ort |
03./04. |
Münster/Osn. Flgh. Osnabrück Geilenkirchen Düsseldorf
Bergen/Hohne |
64 mm 58 mm 48 mm 42 mm
41 mm |
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Ort |
03./04. |
Cambrai (F) La Heve (F) Abbeville (F) Beauvechain (B)
Kl. Brogel (B) Schaffen (B) |
55 mm 41 mm 34 mm 42 mm
36 mm 35 mm |
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Radarbilder
Animation der Radarbilder vom 03.08., 21 UTC bis 04.08., 09 UTC. Das zur Kaltfront von Tief "Birgit" gehörende
Niederschlagsband überquert West- und Mitteleuropa von Nordwest nach Südost. Quelle der Bilder: DWD. Größe der
Animation ca. 1,5 MB.
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Radar-Animation vom 03.08., 21 UTC bis 04.08., 09 UTC;
Quelle der Bilder: DWD |
Satellitenbilder
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03.08., 10:35 UTC, NOAA-17 VIS/IR
Quelle: Geog. Inst., Uni Bern |
04.08., 05:08 UTC, NOAA-15 IR
Quelle: Geog. Inst., Uni Bern |
05.08., 09:48 UTC, NOAA-17 VIS/IR
Quelle: Geog. Inst., Uni Bern |
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06.08., 09:25 UTC, NOAA-17 VIS/IR
Quelle: Geog. Inst., Uni Bern |
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In Zusammenarbeit mit:
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