Wetterlage und Entwicklung
Einer der stärksten Stürme der vergangenen Jahre suchte am 18. und 19. Januar 2007
weite Teile Mittel- und Nordwesteuropas heim. Das Tief „Kyrill“ sorgte verbreitet für
Orkanböen und Schäden in Milliardenhöhe.
„Kyrill“ entwickelte sich innerhalb einer ausgeprägten Frontalzone und
tauchte am 16. als junges Tiefdruckgebiet über Neufundland auf. Bedingt
durch hohe Windgeschwindigkeiten von zum Teil über 200 Knoten (etwa 370 km/h)
im 300 hPa-Niveau verlagerte es sich rasch nach Osten und war 48 Stunden
später über dem mittleren Nordatlantik auszumachen. Zu diesem Zeitpunkt
hatte der steuernde Höhentrog den Tiefkern am Boden bereits überlaufen.
Durch positive und mit der Höhe zunehmende Vorticity-Advektion auf der
Vorderseite dieses Troges formierte sich in der Nähe des Okklusionspunktes
ein neues Tiefdruckzentrum – der bisherige Kern blieb zurück und löste sich
am Abend des 18. auf. Korrespondierend zu dem markanten Höhentrog wanderte „Kyrill“
unter weiterer Verstärkung beschleunigt nach Osten und erreichte am
Nachmittag des 18. die Nordsee. Dort wurde mit unter 965 hPa der
tiefste Luftdruck analysiert. Die weitere Zugbahn verlief bis
Mitternacht über Dänemark und die Ostsee hinweg Richtung Baltikum.
Vom 20. an füllte sich das Tief über Nordwestrussland langsam auf.
Wind:
Die Warmfront von „Kyrill“ erfasste in den Morgenstunden des 18.
mit länger anhaltendem und ergiebigem Regen den Westen und Nordwesten
Deutschlands. Die ersten kräftigeren Böen aus Südwest traten dabei in
Rheinland-Pfalz auf (z.B. Weinbiet/Pfälzer Wald (557 m) 104 km/h).
Rasch nahm der Wind an Stärke zu, bereits um 8 Uhr meldeten zahlreiche
Stationen in der Südwesthälfte des Landes Sturm-, einige Bergstationen
schon Orkanböen (z.B. Feldberg/Schw. (1493 m) 119 km/h). Um die
Mittagszeit befand sich das gesamte Bundesgebiet im starkgradientigen
Warmsektor des Tiefs. Da die Luft jedoch stabil geschichtet war, blieben
Böen der Stärke 11 und 12 zunächst auf höhere Lagen beschränkt. Dabei
stachen der Brocken im Harz (1142 m) mit 169 km/h und erneut das
Weinbiet mit 151 km/h hervor. Am Nachmittag näherte sich von Nordwesten
her die Kaltfront an. Entsprechend wurden die ersten Orkanböen im
Flachland an der Nordseeküste verzeichnet (z.B. Alte Weser Leuchtturm 126 km/h).
Auch im Landesinneren lebte der Wind weiter auf. Um 15 Uhr MEZ konnten verbreitet
Sturm- und schwere Sturmböen gemessen werden. Die Kaltfront war im Radarbild
als schmales, konvektiv durchsetztes Regenband erkennbar. Ihr folgten örtlich
starke Regenschauer und sogar kurze Gewitter nach. In der Lutherstadt
Wittenberg richtete vermutlich ein Tornado schwere Schäden an. Im Bereich der Front
sowie in der anschließend einströmenden labilen Kaltluft mischte vertikaler
Impulstransport den kräftigen Höhenwind von teilweise mehr als 90 Knoten
(ca. 170 km/h) im 850 hPa-Niveau bis zum Boden herab. Osnabrück verbuchte
am frühen Abend postfrontal eine 126 km/h-Böe aus westlicher Richtung.
Zum selben Zeitpunkt wurde in Karlsruhe eine 108 km/h-Böe notiert.
In den darauffolgenden Stunden konnten bundesweit die höchsten Windgeschwindigkeiten
beobachtet werden. Orkanartige Böen und Böen mit voller Orkanstärke auch an niedriger
gelegenen Orten (z.B. Niederstetten 128 km/h) erlebten viele Stationen.
Die heftigsten Böen im Flachland mit jeweils 144 km/h registrierten
Düsseldorf/Flgh. und Artern, bei den Bergen der Wendelstein (1835 m)
mit 202 km/h. In der Nacht zum 19. blieb es bei verbreitet stürmischen Böen.
Vor allem in der ersten Nachthälfte kam es mit Ausnahme des Nordwestens
noch flächendeckend zu schweren Sturm-, im Osten und Nordosten begünstigt
durch einen durchschwenkenden Bodentrog auch häufiger zu orkanartigen Böen,
vereinzelt zu Orkanböen (z.B. Baruth und Trollenhagen je 126 km/h). Am
Morgen des 19. schwächte sich der Wind dann auch im Osten ab, während
gleichzeitig im Westen und Südwesten durch eine nach Südosten ziehende
flache Welle erneut Sturmböen hervorgerufen wurden.
„Kyrill“ wütete auch in anderen Ländern West- und Mitteleuropas.
Auf den Britischen Inseln erreichten die Böen Geschwindigkeiten bis
137 km/h (Dublin Airport/Irland), in den Benelux-Staaten bis 133 km/h
(Wilhelminadorp/Niederlande). Europaweit forderte der Orkan mindestens
40 Menschenleben. Er hinterließ eine Spur der Verwüstung und verursachte
Schäden in dreistelliger Millionenhöhe. Unzählige Bäume stürzten um und
blockierten Straßen. Die Deutsche Bahn stellte erstmals in ihrer Geschichte
am Abend des 18. bundesweit den Betrieb ein. Zehntausende Fahrgäste
mussten in Zügen übernachten. Der neue Berliner Hauptbahnhof wurde
am späten Abend evakuiert, nachdem sich ein tonnenschwerer Stahlträger
von der Außenfassade losgerissen hatte und auf eine Treppe gestürzt war.
Betroffen war auch der Flugverkehr. Allein am größten deutschen Flughafen
Frankfurt/Main mussten fast 200 Flüge gestrichen werden. Viele Schulen
blieben am Nachmittag des 18. und am 19. geschlossen.
Temperatur:
In seinem Warmsektor führte „Kyrill“ kurzzeitig warme Luft
subtropischen Ursprungs bis über die Alpen nach Norden.
Diese Warmluft konnte sich am 18. und in der Nacht zum 19.
bis zum Boden durchsetzen. Von höheren Lagen abgesehen stiegen
deutschlandweit die Temperaturen am 18. tagsüber auf Werte bis +16 °C
in Nörvenich. Am Abend wurde es vor der heranrückenden Kaltfront mit
zunehmendem Wind im Süden noch milder als am Tage, z.B. stellte Mannheim
mit +16,0 °C einen neuen Rekord für die zweite Januardekade um 22 Uhr MEZ auf!
Auch an zahlreichen weiteren Stationen reichte es zu neuen Dekadenrekorden.
Bemerkenswert sind zudem die mit leichter Föhnunterstützung um Mitternacht
erreichten +19 °C am Salzburger Flughafen.
Niederschlag:
Neben Orkanböen und ungewöhnlich milden Temperaturen brachte „Kyrill“
auch hohe Regenmengen. Besonders im Norden und in der Mitte Deutschlands
fielen verbreitet 20 bis 40 l/m². Auf dem Brocken summierte sich der
24-stündige Niederschlag bis zum 19., 07 Uhr MEZ sogar auf 90 l/m².
Dies entspricht mehr als der Hälfte des Monatssolls. Das benachbarte
Braunlage brachte es auf 79 l/m². Stellenweise traten Bäche und
kleinere Flüsse über die Ufer.
Text: CE, BM
Bodendruckanalysen vom 17. bis 19.1.2007
Quelle: FU Berlin / DWD
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17.1.2007, 00 UTC |
18.1.2007, 00 UTC |
18.1.2007, 12 UTC |
19.1.2007, 00 UTC |
500 hPa-Geopotential und -temperatur vom 17.-19.1.2007
jeweils 00 UTC:
Quelle: Wetterzentrale
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17.1.2007, 00 UTC |
18.1.2007, 00 UTC |
19.1.2007, 00 UTC |
Wetterwerte
Nachstehend eine Auswahl gemessener Spitzenböen am 18.1.2007,
einiger Höchsttemperaturen vom 18.1.2007 und 24-stündiger Niederschlagsmengen
vom 18.1.2007, 06 UTC, bis 19.01.2007, 06 UTC, an einigen deutschen Stationen:
Ort |
Bö, 18.01. |
Wendelstein
Brocken Fichtelberg Feldberg/Schw.
Artern Düsseldorf Kiel-Leuchtturm
Braunschweig Berlin-Dahlem Cottbus
München Karlsruhe |
202 km/h
198 km/h 184 km/h 166 km/h 144 km/h 144 km/h 140 km/h
130 km/h 126 km/h 126 km/h 119 km/h 108 km/h |
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Ort |
Tmax, 18.01. |
Nörvenich
Garmisch Doberlug Offenbach Ingolstadt München Heidelberg
Karlsruhe Freiburg Berlin
Stuttgart Hannover |
16°C
16°C 15°C 15°C 15°C 15°C 15°C 15°C
15°C 14°C 14°C 14°C |
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Ort |
Regen, 18./19.01. |
Brocken
Braunlage Neuhaus Bad Salzuflen Lüdenscheid
Berlin-Tempelhof Bergen Wernigerode Fassberg
Lüdge Oldenburg Soltau |
90 mm
79 mm 59 mm 47 mm 46 mm
45 mm 44 mm 44 mm 44 mm
43 mm 42 mm 42 mm |
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Niederschlag
Radarbilder vom 18.1.2007:
Quelle: DWD
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18.1.2007, 06 UTC |
18.1.2007, 09 UTC |
18.1.2007, 12 UTC |
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18.1.2007, 15 UTC |
18.1.2007, 18 UTC |
18.1.2007, 21 UTC |
Satellitenbilder
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16.1.07, 14:29 UTC, METOP-A VIS
Quelle: B. J. Burton |
17.1.07, 12:00 UTC, MSG VIS
Quelle: Eumetsat |
17.1.07, 12:00 UTC, MSG VIS
Quelle: Eumetsat |
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17.1.07, 14:00 UTC, N18 VIS
Quelle: B. J. Burton |
18.1.07, 12:06 UTC, N18 VIS
Quelle: B. J. Burton |
19.1.07, 12:00 UTC, N18 VIS
Quelle: B. J. Burton |
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In Zusammenarbeit mit:
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