Wetterlage und Entwicklung
Am 1. November erlebten weite Teile Nord- und Ostdeutschlands den ersten
schweren Herbststurm der Saison 2006/07. Das Orkantief, das am 28.10. erstmals
als junge Wellenstörung über dem nördlichen Atlantik analysiert wurde und in
den folgenden Tagen über Schottland und Dänemark hinweg zum Baltikum zog, erhielt
den Namen "Britta".
"Britta" entstand an der Südflanke eines bereits gealterten
Tiefdruckgebietes östlich von Neufundland. Dieses Tief war eingebettet in
einen langwelligen Höhentrog, dessen Hauptachse am 27. von Grönland nach
Südwesten verlief. Kaltluftadvektion von Norden in den Trog hinein sowie ein
von Westen nachfolgender Rücken vergrößerten die Amplitude des Troges und
ließen ihn am 28. etwas weiter nach Osten voran kommen. Auf der Vorderseite
begann am Boden der Luftdruck zu fallen. Bereits einen Tag später hatte sich
aus der daraus resultierenden Frontalwelle ein eigenständiges
Tiefdruckgebiet mit Kerndruck unter 1005 hPa formiert. Der Trog verschmälerte
sich weiter, am 30. erfolgte ein Cut-Off-Prozess. Während
sich der Südteil nach Süden verlagerte, wanderte der Nordteil unter
Verkürzung der Wellenlänge nach Osten. Auf diese Weise verstärkte Hebung auf
der Ostseite begünstigte die weitere Intensivierung des Bodentiefs. Der
Druck in dessen Zentrum betrug am 30. unter 1000 hPa, 24 Stunden später war
er bereits auf unter 985 hPa gesunken. Inzwischen hatte das Tief die Küste
Südnorwegens erreicht und bildete eine Art dipolartige Struktur mit zwei
separaten Kernen aus. Dabei spielte zum einen vermutlich die Lee-Wirkung des
norwegischen Küstengebirges eine Rolle. Weitaus mehr wirkte sich zum anderen
allerdings ein von Norden heranschwenkender Kurzwellentrog aus, der in den
ursprünglichen Trog hinein lief und mit sehr kalter Luft (zum Teil unter -40
°C in 500 hPa) diesen letztendlich zu einem neuen Langwellentrog über dem
mittleren und östlichen Europa verstärkte. Währenddessen entwickelte sich
vorderseitig des Kurzwellentroges der zweite Tiefkern, der schließlich über
Südnorwegen und Nordostdeutschland bis zum 01.11. nach Polen zog und sich
dort wieder auflöste. Zu diesem Zeitpunkt war das Hauptzentrum des Tiefs
bereits über den baltischen Staaten auszumachen.
Zu "Britta" bzw. zu den zwei Tiefzentren gehörten zwei Kaltfronten, die in
kurzem Abstand bis zum Morgen des 01.11. Deutschland von Nordwest nach
Südost überquerten. Dabei fielen verbreitet etwa 2 bis 10 mm Regen. Der Wind
frischte auf, der Brocken meldete um 0 Uhr MEZ bereits 101 km/h in Böen. Vor
allem im nordostdeutschen Flachland wurden zu diesem Zeitpunkt Böen bis
Stärke 7 (50 bis 60 km/h) gemessen. Die stärksten Böen traten jedoch erst in
Verbindung mit einem vom sekundären Tiefkern ausgehenden markanten Bodentrog
auf, in den zusätzlich eine scharfe Konvergenzlinie eingebettet war. Dieser
erreichte in den frühen Morgenstunden des 1. Norddeutschland und verlagerte
sich zügig über die Osthälfte hinweg südostwärts. Davon am meisten betroffen
waren wiederum Nord- und Ostdeutschland, wo es verbreitet auch im Flachland
zu Sturm-, gebietsweise auch zu schweren Sturmböen über 100 km/h kam (z.B.
Dresden, Lichtenhain je 101 km/h). Böen in Orkanstärke wurden an der
Nordseeküste (z.B. Alte Weser Leuchtturm 137, Feuerschiff Tiefenwasser Ems
und Feuerschiff Deutsche Bucht je 126 km/h) sowie auf dem Brocken (148 km/h)
und auf dem Wendelstein (122 km/h) beobachtet.
Hinter der Troglinie strömte kalte Luft arktischen Ursprungs nach
Deutschland, so dass zumindest in der Osthälfte des Landes erste
Schneeflocken bis ins Flachland fielen. So meldeten beispielsweise Marnitz
und Schwerin am Morgen des 2. eine durch nächtliche Schauer entstandene
Schneedecke von 1 cm. Weiter Richtung Westen machten sich bereits von einem
Hoch bei den Britischen Inseln induzierte Absinkvorgänge bemerkbar. Dort
reichte es nur in den Mittelgebirgen für eine dünne Schneedecke (z.B.
Brocken 6, Kahler Asten und Wasserkuppe je 2 cm). Mit Ausnahme der
Küstenregionen und einzelnen Orten im Westen sanken erstmalig in diesem
Herbst in der Nacht zum 2. deutschlandweit die Temperaturen unter den
Gefrierpunkt.
Am 2. verlagerte sich "Britta" insgesamt weiter nach Osten, über Deutschland
schwächte sich die nördliche Strömung ab. Dennoch verzeichneten zahlreiche
Stationen - wiederum hauptsächlich in Ostdeutschland - Böen bis Stärke 7, an
den Küsten auch noch Sturmböen (z.B. Alte Weser Leuchtturm, Boltenhagen und
Greifswalder Oie je 86; Feuerschiff Deutsche Bucht und Kiel Leuchtturm je 83
km/h). Auf den Bergen gab es letzte orkanartige (Wendelstein 115,
Fichtelberg 108 km/h) bzw. schwere Sturmböen (Brocken und Großer Arber je 90
km/h).
Infolge des Orkans kam es an der Nordsee in den Morgen- und
Vormittagsstunden des 1. zu einer Sturmflut, die an der Emsmündung mit 3,59
m über dem Normalstand den dort höchsten jemals gemessenen Wert erreichte.
In Hamburg war zunächst ein Pegel von 5,80 m über Normal erwartet worden,
der mit einem Höchststand von 4,88 m jedoch deutlich verfehlt wurde. Dennoch
standen die Speicherstadt und die tiefer gelegenen Gebiete am nördlichen
Hamburger Elbufer unter Wasser. Zuvor hatte sich durch den Wind in der Nacht
im Hafen ein Containerschiff losgerissen, das aber mit Hilfe eines
Schleppers wieder gesichert werden konnte. In der Nordsee riss sich eine
Bohrplattform von einem Schlepper los. Für die 75 Mann starke Besatzung habe
jedoch keine Gefahr bestanden. Auch weiter landeinwärts hinterließ "Britta"
ihre Spuren, entwurzelte zahlreiche Bäume und knickte Verkehrsschilder um.
Dabei verletzte sich ein Mann in Dresden schwer. In Wilhelmshaven wurden
mehrere Toiletten- und Müllcontainer ins Meer geweht und ein Strandbad
unterspült.
Schlimmer wütete "Britta" im Süden Skandinaviens und richtete dort auch auf
dem Festland größere Schäden an. Aus Norwegen wurden Orkanböen bis 167 km/h
gemeldet (Oseberg).
Bodendruckanalysen vom 30.10. bis zum 2.11.2006 und 500 hPa-Geopotential
vom 30.10. bis zum 2.11.2006,
jeweils 00 UTC:
Quelle: FU Berlin / DWD / Wetterzentrale
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30.10.2006, 00 UTC |
31.10.2006, 00 UTC |
1.11.2006, 00 UTC |
2.11.2006, 00 UTC |
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30.10.2006, 00 UTC |
31.10.2006, 00 UTC |
1.11.2006, 00 UTC |
2.11.2006, 00 UTC |
Windspitzen
Nachstehend eine Auswahl gemessener Spitzenböen vom 31.10. auf den 1.11.2006
an in Deutschland mit mehr als 100 km/h sowie die Spitzenböen einiger
nordeuropäischer Stationen:
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Ort |
Bö |
Brocken
Alte Weser LT Feuerschiff Tiefenwasser Ems Feuerschiff Deutsche Bucht
Norderney Wendelstein Helgoland St.-Peter-Ording Wittmundhaven
Zugspitze Fichtelberg List/Sylt Emden Elpersbüttel
Nordholz Feldberg/Schwarzwald Greifswalder Oie Kiel LT Lichtenhain-Mittelndorf
Dresden Ummendorf
Oseberg (Norwegen) Ekofisk (Norwegen) Gullfax (Norwegen)
Tyra Oest (Dänemark) |
148 km/h
137 km/h 126 km/h 126 km/h 122 km/h 122 km/h 119 km/h 112 km/h
112 km/h 108 km/h 108 km/h 108 km/h 108 km/h 101 km/h 101 km/h
101 km/h 101 km/h 101 km/h 101 km/h 101 km/h 101 km/h
167 km/h 156 km/h 148 km/h 148 km/h |
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30.10.06, 14:03 UTC, N18 VIS
Quelle: B. J. Burton |
30.10.06, 14:03 UTC, N18 VIS
Quelle: B. J. Burton |
30.10.06, 21:08 UTC, N17 IR
Quelle: B. J. Burton |
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29.10.06, 14:13 UTC, N18 VIS
Quelle: B. J. Burton |
31.10.06, 12:18 UTC, N18 VIS
Quelle: Geog. Inst., Uni Bern |
1.11.06, 12:03 UTC, N18 VIS
Quelle: Geog. Inst., Uni Bern |
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